PR Andromeda 06 - Die Zeitstadt
geübt.
Daher verfügten sie schon im Vorfeld über die Erfahrung zahlreicher kurzzeitiger Zusammenschlüsse in so genannten Para-Blocks, deren Intensität sich langsam und vergleichsweise kontinuierlich gesteigert hatte. Zudem entstammten sie alle demselben Kulturkreis, ja sogar derselben Altersgruppe. Das alles erleichterte ihnen den Schritt von der individualistischen Vielfalt zur kollektiven Einheit, das gegenseitige Aufgehen ineinander, und damit in etwas Neuem, Höherem. Die dabei entstandene Entität verfügte von Anfang an über ein gewaltiges Potential. Sie war weit mehr als nur die Summe der Einzelnen, die sich zu ihr verbunden hatten. Bis zum Auftreten des Gelben Meisters hatte der Nukleus die größte Geistesmacht in der lokalen Galaxiengruppe dargestellt. Nun aber wurde er, noch dazu in einer von der permanenten Auseinandersetzung mit dem Schattenspiegel geschwächten Verfassung, mit nicht weniger als einer Million charandidischer Bewusstseine konfrontiert. Die überaus gutwillig waren, aber eben ... anders. Ebenfalls ursprünglich humanoid, aber dennoch viel fremder, als es zuerst den Anschein gehabt hatte. Schrullig und lebensfroh verspielt, kindlich unschuldig und weise zugleich. Ein altes, sehr hoch entwickeltes Volk, das sich von der galaktischen Bühne in ein freiwilliges Exil auf dem paradiesischen Planeten Thirdal zurückgezogen hatte; das aber andererseits durch seine Fähigkeit des »Sternenhorchens« beträchtliche, wenn auch vollkommen ungeordnete Kenntnisse über die vielfältigen Vorgänge im Kosmos besaß. Für den Nukleus waren die Charandiden nicht nur Nachschub-Lieferanten für dringend benötigte Mentalenergie. Sie waren ... interessant.
»Oh Mann« - wie Martan Yaige, ihr Sprecher, gesagt hätte-, »fast zu interessant.«
Die beinah schlagartige Bewusstseins-Erweiterung, die mit der Vergeistigung der Charandiden einherging, strapazierte den Nukleus viel mehr als erwartet. Das nach kosmischen Maßstäben blutjunge Geistwesen hatte sich geradewegs verspekuliert, sich zu viel zugemutet, und zugleich die Charandiden unterschätzt. Es wurde von einer derartigen Flut von Wissen und Erfahrungen, von Geschichte und Geschichten überschwemmt, dass es um ein Haar die Besinnung verlor. Anschließend konnte es gar nicht anders, als sich weitestgehend abzukapseln. So unendlich viel hatten sie einander mitzuteilen, so unendlich viel voneinander zu lernen ... Es war wie ein Rausch, ein Exzess, eine Ekstase; eine Trunkenheit, ein Delirium, ein Fieber.
Dergestalt überhitzt, überreizt und überanstrengt, hatte der Nukleus auch seine Beobachtung jener Ebene der Höheren Kosmischen Mächte vernachlässigt, auf der sich seine Auseinandersetzung mit der fremden, unerhört aggressiven Geistesmacht abspielte. Zwar behinderte und verzögerte er weiterhin die Vollendung des Schattenspiegels und damit das endgültige Erwachen des Gegenspielers, doch nicht mit voller Kraft und Konzentration. Auch den mentalen Schutzschild um den Sektor Jessytop hielt er nach wie vor instand. Doch widmete er dem keineswegs seine ganze Aufmerksamkeit ...
Während gleichzeitig die Wesenheit, die von den Gorthazi Gelber Meister genannt wurde, aus unerfindlichen Gründen schubweise stärker und wacher wurde.
Stark und wach genug, um endlich doch zu bemerken, dass es einen zwar nicht annähernd ebenbürtigen, aber irgendwie artverwandten und somit gefährlichen Widersacher gab, der seine Kreise störte und den Aufbau des Schattenspiegels sabotierte.
Stark und wach genug, um zumindest indirekt den Aufenthaltsort jenes Saboteurs im vierdimensionalen Kontinuum zu ermitteln: das Attori-System im Sektor Jessytop.
Stark und wach genug, um den Schutzwall, der um den Sektor gelegt worden war, anzugreifen und zu vernichten.
Mit einem einzigen Schlag.
So paradox es auch anmuten mochte, es war der Schock dieses furchtbaren, nahezu letalen Hiebes, der den Nukleus wieder zur Vernunft brachte. Indem der Gelbe Meister den mentalen Schild um Jessytop zerschmetterte, riss er das Kollektivwesen aus seiner Selbstbezogenheit und Lethargie.
Der Halbschläfer weckte den Tagträumer.
Der Nukleus hatte die Integration der charandidischen Bewusstseine noch keineswegs zufrieden stellend abgeschlossen. Und er war angeschlagen; erschöpft vom langen Ringen sowieso.
Doch es gelang ihm, den mentalen Schutzschirm neu zu errichten, wenngleich in viel kleinerem Ausmaß. Lediglich das Attori-System verblieb ihm und seinen Verbündeten als letzte
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