PR Lemuria 03 - Exodus der Generationen
wusste, dass er ihr zumindest einen Teil der Schwäche verdankte. Sie schien sich nicht entscheiden zu können, was sie mit seinem Körper anstellen sollte, nahm ihm nur die Kraft.
»Ich höre ein Lied in der Ferne«, sagte er benommen. »Wenn ich es erreichen kann... «
»Wir müssen fort von hier«, drängte Darhel.
Und so brachen sie auf, sechs von neunzehn, die sich nach der Kollision auf den Weg gemacht hatten. Alle anderen waren tot, unter ihnen die sieben Jüngsten, die nie eine Chance bekommen hatten, wirklich zu leben.
Deshan Apian - Lemuria 4509 dT (51891 v. Chr.)
»Interessant«, sagte Deshan Apian, während er Text und Grafik durch das Display des kleinen Zephalons wandern ließ. »Wirklich interessant. Kompliment Mira. Du hast dir große Mühe gegeben.«
Mira Lemroth saß am Steuer des Elektrowagens und lenkte ihn durch einen Verkehr, der selbst hier am Stadtrand von Marroar noch immer erstaunlich dicht war. »Du hast nur einen kleinen Teil gelesen.«
»Und der genügt mir schon, um beeindruckt zu sein. Damit sind dir neue Verdienste sicher.«
Deshan sah seine Frau an und bemerkte die deutliche Wölbung ihres Bauchs. Nach Tamaha und Milissa würde Mira in einigen Monaten ihr drittes Kind zur Welt bringen. Sie wussten bereits, dass es ein Junge war, und er sollte Erron heißen, nach Miras Großvater.
»Es ist ein Entwurf«, erwiderte Mira und wandte den Blick nur kurz vom Verkehr ab. »Die endgültige Dissertation wird noch umfangreicher sein. Ich habe vor, ihr ein Kapitel über die >Sternensu-che< hinzuzufügen.«
»Du wirst nicht nur eine Verdienststufe aufsteigen, sondern auch einen weiteren Titel bekommen«, sagte Deshan. »Mira Lemroth, Zephalonmeisterin sowie Spezialistin für Soziologie und Gesellschaftspsychologie.« Deshan lächelte. »Je größer unsere Familie wird, desto mehr wächst dein Interesse an den Gesellschaftswissenschaften. «
»Wir alle sind Teil dieser Gesellschaft, und unsere Kinder werden in sie hineingeboren.« Mira bediente die Kontrollen des Elektrowa-gens, und der Motor summte ein wenig lauter, als sie den Fahrstreifen wechselte und beschleunigte. Sie fuhren nach Westen, in Richtung Pataah, aber ihre Reise würde ein ganzes Stück vorher zu Ende gehen, beim Konos-Monument von Hedros.
»Vielleicht finde ich die Soziologie und ihre psychologischen Aspekte deshalb so interessant, weil ich glaube, dass wir in einer einzigartigen Zeit leben«, sagte Mira. Warmer Wind strich durch das einen Spaltbreit geöffnete Seitenfenster und spielte mit ihrem langen schwarzen Haar. »Wusstest du, dass das Durchschnittsalter unserer Bevölkerung während des letzten halben Jahrhunderts um fünfzehn Jahre gesunken ist?«
Deshan schüttelte den Kopf.
»Das ist eine enorme Verjüngung für eine ganze Population. Und der Grund dafür...« Mira löste eine Hand von den Kontrollen und strich sich damit über den Bauch. »Eine immer höher werdende Geburtenrate. Denk an all die Menschen dort draußen, Deshan. Tausende, Millionen, jeder Einzelne von ihnen mit eigenen Träumen und Hoffnungen. Aber, und das ist der entscheidende Punkt: Die meisten dieser Träume und Hoffnungen existieren auch im kollektiven Bewusstsein. Mit anderen Worten: Die Wünsche des Individuums stimmen mit denen der Gesellschaft überein.«
»Wir alle ziehen an einem Strang«, sagte Deshan.
»Nicht alle, aber mehr als fünfundneunzig Prozent, und das ist ein enorm hoher Konformitätswert.«
»Es ist das Prinzip der Solidarität.«
»Dahinter steckt mehr als nur das Konzept der Solidarität, der gegenseitigen Hilfe. Stell dir die Gesellschaft als einen Organismus vor, der wächst und sich entwickelt, so langsam, dass wir die Veränderungen erst wahrnehmen, wenn sie ein bestimmtes Ausmaß erreichen, wenn Quantität in Qualität umschlägt. Während der letzten Jahrhunderte ist aus einer auf niedrigem Niveau stagnierenden Gesellschaft eine überaus dynamische geworden. Wir haben uns auf Lemuria ausgebreitet, und unser industrielles Potenzial ist enorm gewachsen. Und es nimmt weiter zu, mit hohen Zuwachsraten. Wir leben heute in einer perfekten Gesellschaft, Deshan. Es gibt praktisch keine inneren Konflikte, und für fast alle von uns ist das Gemeinwohl gleichbedeutend mit dem eigenen Wohl. Für jeden von uns gibt es Sicherheit. Jeder von uns hat die Chance, Verdienste zu erringen und aufzusteigen. Die Befriedigung der elementaren Bedürfnisse ist gewährleistet, selbst für jene, die keine Verdienste vorweisen
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