PR Lemuria 03 - Exodus der Generationen
Kinder wende«, sagte Levian Paronn feierlich. »Der Exodus beginnt in wenigen Jahren. Die Hand, die nach den Sternen greift, wird sie bald berühren.«
Deshan Apian - Lemuria 4555 dT (51845 v. Chr.)
Das Boot schaukelte sanft auf den kleinen Wellen des türkisfarbenen Sees im Tal der Stille. Es war aus mehreren Rümpfen montiert, damit alle Trauergäste Platz fanden, und angetrieben wurde es nicht von einem Motor, sondern von der Kraft des Windes, der große feuerrote Segel aufblähte. So entsprach es Miras letztem Wunsch.
Der achtundsiebzig Jahre alte Deshan Apian saß im Bug eines Rumpfes, auf einem bequemen, extra für ihn hergerichteten Platz, und sah zu den Gebäuden des Zentrums mnemonischer Beschaulichkeit am Südufer des Sees. Dieses ruhige Tal war immer ihr Ort gewesen, von Anfang an. Hier hatten sie sich versprochen, mindestens zehn Kinder zu haben.
Ihre Kinder, elf an der Zahl, gehörten zu den Passagieren des Bootes, außerdem achtzehn Enkel und vier Urenkel. Hinzu kamen Honoratioren des Großen Solidars und Entaron, Erster Kurat des Kuratoriums.
Deshan Apian konnte es noch immer nicht fassen. Die Ereignisse um ihn herum erschienen ihm traumartig, wie Teil einer ihm fremden Realität. Mira, seine Mira... Vor einer Woche hatte sie noch gelacht, und jetzt existierte nur noch ihre Asche im Zeremoniengefäß. Eine Krankheit, gegen die es kein Mittel gab, der selbst die hoch entwickelte Medizin des lemurischen Solidars hilflos gegenüberstand.
»Wenigstens hat sie nicht gelitten«, sagte jemand, aber die Stimme, wie auch die anderen, war wie ein Flüstern in der Ferne, das Deshan Apian kaum erreichte. Er blieb in seinem Stupor gefangen, der ihn vor dem Schmerz des Verlustes schützte.
In der Mitte des Sees wurden die Segel eingeholt, und Entaron trat auf die kleine Plattform vor den Rümpfen des Bootes. Er trug einen schneeweißen Umhang und auf dem Kopf eine symbolische Krone aus Zinn. Mit dem Zeremoniengefäß in den Händen, rot wie die Segel, sprach er von Mira und ihrem Leben, aber für Deshan Apian waren auch seine Worte kaum mehr als ein sinnloses Flüstern in der Ferne. Er blickte über den See und erinnerte sich daran, wie oft er mit Mira bei der Bastion Tuamar gesessen und durchs Tal der Stille geblickt hatte, begleitet von jenem tiefen Frieden, den sie sich gegenseitig geschenkt hatten. Irgendwann fühlte er eine Hand am Arm, drehte den Kopf und sah seine Tochter Tamaha, ihr erstes Kind, inzwischen fünfzig Jahre alt.
»Es ist so weit, Vater«, sagte sie.
Er ließ sich von ihr aufhelfen und zur Plattform führen, blieb dort neben dem Kuraten stehen und blickte über die vielen Personen hinweg, die ihn alle ansahen und schwiegen. Deshan blinzelte und nahm ihre Präsenz zum ersten Mal bewusst zur Kenntnis.
»Sie ist wirklich tot, nicht wahr?«, fragte er leise. »Dies ist kein Traum?«
»Wirklich tot ist nur der, an den sich niemand erinnert«, erwiderte Tamaha. »Mira Lemroth lebt in uns allen weiter, denn niemand von uns wird sie vergessen.«
In seiner Erinnerung sah Deshan Miras Lächeln, ihre großen Augen. Es waren kostbare Bilder, ein Leben wert.
Er nahm das Zeremoniengefäß von Entaron entgegen und öffnete es. Sein erster Versuch, den letzten Gruß zu sprechen, schlug fehl -es wurde nur ein Krächzen daraus. Deshan Apian, von seiner Tochter Tamaha gestützt, räusperte sich. »Hiermit übergebe ich dich dem See, wie es deinem Wunsch entspricht«, sagte er. »Ruhe in Frieden.«
»Ruhe in Frieden«, wiederholten die Trauergäste.
Deshan hielt das Gefäß übers Wasser, drehte es und beobachtete, wie die Asche, die Mira gewesen war, in den See fiel und darin verschwand.
Und dann, mit der Wucht eines plötzlichen, gnadenlosen Schlags, traf ihn die Erkenntnis, dass er Mira nie Wiedersehen würde, dass er ihr nie wieder in die Augen blicken und sich an ihrem Lächeln erfreuen konnte. Die vielen Erinnerungsbilder genügten ihm nicht, so kostbar sie auch sein mochten. Sie betonten nur die schreckliche Leere, die plötzlich in ihm entstanden war.
Tränen rollten ihm über die Wangen und fielen ebenfalls in den
See, vereinten sich dort mit dem Wasser, das zu Miras Grab geworden war.
Tamaha umarmte ihn und murmelte tröstende Worte, die ohne Bedeutung für ihn blieben, und nach ihr kamen die anderen: erst seine Kinder, in der Reihenfolge ihrer Geburt, gefolgt von den Enkeln und Urenkeln, dann von den Honoratioren. Ein Gesicht fehlte, stellte etwas in Deshan fest, aber auch das
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