PR Lemuria 04 - Der erste Unsterbliche
Gespräch hat er mich nämlich auf eine Idee gebracht, die mir nicht mehr aus dem Kopf will...
Es muss sein. Ich werde umdisponieren.
Der erste, ursprüngliche Plan war und ist gut. Nach wie vor halte ich im Wesentlichen daran fest. Jedoch werde ich ihn erweitern, um eine zweite, ungleich tiefgreifendere, nachhaltig den Ausschlag gebende Komponente.
Ein großes Wagnis ist damit verbunden, weshalb ich den Hüter nicht einweihen darf.
Obwohl er es war, der mich dazu inspiriert hat.
Er hat mir beiläufig von einer militärischen Forschungsstation berichtet, situiert in einem Sonnensystem, dem man viel später den lemurischen Namen »Ichest«, Zwischenstopp, geben wird. In dieser Station wurde an der Entwicklung einer ganz speziellen Waffe gearbeitet. Wäre sie rechtzeitig fertig gestellt worden, sie hätte den Krieg entschieden; zu unseren Gunsten, versteht sich. Doch dazu kam es leider nicht mehr.
Wie bitter. Das ist es wohl, was man als »Ironie der Geschichte« bezeichnet: Während für uns in den Archen durch den Dilatationsflug nur Wochen vergingen, liefen da draußen die dunklen Jahrzehnte und Jahrhunderte ab, fand das Drama der Vertreibung der Menschheit aus ihrer Heimatgalaxis statt, unter entsetzlichen Opfern und der Zerstörung fast aller Tamanien. Die Milchstraße schwamm im Blut der Lemurer. Unbeschreiblich ist das Ausmaß des Leids, das die Offensiven der Bestien über uns gebracht haben. Und unabänderlich das grausame Schicksal.
Es sei denn, die Waffe aus der Station im Ichest-System könnte doch früh genug eingesetzt werden.
Viel früher. Bereits zu Beginn des Krieges - der dann wohl rasch wieder beendet wäre...
Es ist vollbracht.
Die Waffe - oder genauer gesagt ihre Konstruktionspläne, was aber dasselbe ist - befindet sich in meinem Besitz.
Es hat meiner ganzen Überredungskunst bedurft, ihn dazu zu bringen, das Ichest-System anzufliegen. Bei Veehrato, es war nicht leicht und kostete mich viel Überwindung, den Hüter zu betrügen. Nach allem, was er für mich, die Sternenarchen und die gesamte Menschheit getan hat, fiel ich ihm in den Rücken, brach ihm die Treue. Ich fühlte mich schlecht dabei, das darfst du mir glauben, geliebtes Diarium, als ich ihn seinem Schicksal überließ. Noch heute schrecke ich mitten in mancher kurzen Nacht auf, weil ich geträumt habe, er stünde an meiner Liegestatt und sähe mich an, mit seinen drei übergroßen, unergründlichen Augen.
Muss ich mir Vorwürfe machen deswegen, dass ich seinen Tod in Kauf genommen habe? Ja. Er hatte eine solche Behandlung nicht verdient; nicht er, nicht das auch moralisch imponierendste Wesen, dem ich je begegnen durfte. Und nein: Verglichen mit dem, was auf dem Spiel steht, vermeine ich meine Tat rechtfertigen zu können. Dieser Zweck heiligt jedes Mittel. Ich bedaure zutiefst, dass ich ihn opfern musste; doch die Geschichte wird mich freisprechen, spätestens wenn mein Plan in Erfüllung gegangen ist.
Ja, ich bilde mir sogar ein, er selbst würde mir nachträglich beipflichten, würde meine Handlungsweise verstehen und gutheißen, hätte er die Gelegenheit dazu. Obgleich ich ihn logischerweise nicht ins Vertrauen ziehen konnte, hatte ich manchmal den Eindruck, er ahne, zumindest ansatzweise, was ich vorhabe. Schlussendlich aber ließ er sich überzeugen und ging, möglicherweise sehenden Auges, in sein Verderben...
Gerade in der Einsamkeit der verlassenen Station habe ich dich, mein Diarium, erst so richtig schätzen gelernt. Sie ist groß, weitläufig, schrecklich leer. Wunderlich könnte man werden als einziger Bewohner. Selbst ich liefe Gefahr, den Verstand zu verlieren, besäße ich nicht dich - und die Gewissheit, dank meines Zellaktivators die lange Wartezeit überstehen zu können, bis zu jenen fernen Tagen, an denen sich die Entwicklung ihrem Höhe- und Wendepunkt zuneigen wird. Aber da werde ich bereits auf Drorah weilen, der verschont gebliebenen Hauptwelt des 87. Tamaniums, und unter dem Deckmantel einer anderen Identität alles vorbereitet haben für das Finale, welches zugleich, ja gleichzeitig, die Ouvertüre darstellt.
Ich warte, übe mich in Geduld und Disziplin. Auch ich bin jetzt zu einem Hüter geworden, zu einem Hüter der Zukunft. All mein Sinnen und Trachten wird von nun an darauf gerichtet sein, andere dazu zu bringen, genau das zu tun, was getan werden muss - damit sich erfüllt, was eigentlich schon geschehen ist.
Und dann, in dem einen, kurzen, entscheidenden Moment, werde ich eingreifen und
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