PR Lemuria 04 - Der erste Unsterbliche
Fetzen der Leinwand eines antiken Gemäldes, ja? Aber unzweifelhaft handelt es sich um die Reste von Levian Paronns Tagebuch. Wir haben die Eintragungen chronologisch geordnet, soweit wir einen Timecode lesen konnten. Viel Spaß damit!«
Intermezzo: Das Opfer des Hüters
Ich bin überrascht. Er ist wieder da!
Seine Erscheinung flößt mir fast noch mehr Schrecken ein als bei unserer ersten Begegnung. Damals war er ein Monster von vielen, namenloses Unheil, das wir nicht als Individuum wahrnahmen, sondern als Teil einer grauenvoll perfekten Kriegsmaschinerie. Erst mit der Zeit gelang es ihm, uns zu überzeugen, dass er die Seiten gewechselt hatte und sich gegen Seinesgleichen stellte. Wir trauten ihm nicht. Er aber erwies sich als Freund, ja als für meine Sendung ebenso wichtig wie jener andere, mit dem alles begonnen hat. Ich wüsste nicht zu sagen, wem ich mehr verdanke.
Es gibt also keinen Grund, sich vor ihm zu ängstigen. Dennoch kostet es mich immer wieder Überwindung, zu ihm aufzublicken. Er ist so groß, so mächtig... An Bord der ACHATI UMA kommt seine körperliche Überlegenheit noch viel stärker zur Geltung als auf Lemur oder dem Planeten Torbutan. Einfühlsam und rücksichtsvoll, wie es seiner Art entspricht - korrigiere: ihm als Einzigem seiner Art entspricht -, hält er seine ungeheuren Kräfte im Zaum, vermeidet hastige Bewegungen, kommuniziert in einer Lautstärke, die für ihn einem Flüstern gleichkommen muss. Und trotzdem: Ich kann nicht gegen das Trauma an, kann die kreatürliche Furcht nicht völlig unterdrücken, die sich mir von Kindheit auf eingeprägt hat.
Ich beneide meine Besatzung, der dies erspart geblieben ist und hoffentlich für immer erspart bleiben wird...
Er hat, bevor er die UMA gefunden hat, bereits andere Sternenarchen aufgesucht. Dort ist soweit alles in Ordnung, berichtet er. Wir kommen überein, in Zukunft weiteren Generationenschiffen Besuche abzustatten. Das wird die Moral der Bewohner heben und uns außerdem die Möglichkeit schaffen, etwaige Fehlentwicklungen zu korrigieren. Zeit haben wir ja mehr als genug. Er meint, der kugel-förmige, hundert Meter durchmessende Raumer sei zwar beschädigt, werde aber wohl noch eine Weile durchhalten...
Heute bin ich zum ersten Mal mit ihm an Bord seines Schiffes gegangen. Oh geliebtes Diarium, das war ein Erlebnis, bei dem meine gesamte Selbstbeherrschung gefordert wurde! Wir hatten zwar -selten genug! - Technologie der Bestien erbeutet. Sie allerdings in Aktion zu erleben, bedient von einem derjenigen, auf die sie zugeschnitten wurde, ist etwas völlig anderes.
Ich halte mich für einen gefestigten, abgebrühten Charakter, habe auch wahrlich in meinem Vorleben genügend Schlimmes gesehen. Doch wie er da in seinem Kommandostand agiert, verschmolzen mit dem Schiff, das er ganz allein beherrscht, selbst mehr Killermaschine als Lebewesen... Er ist so schnell, so aufmerksam, uns auch geistig so weit voraus. Kein Wunder, dass wir gegen sein Volk letztlich chancenlos waren. Sie sind zum Kämpfen und Siegen geboren, zu keinem anderen Zweck gezüchtet.
Wir Lemurer hielten uns früher für die Krone der Schöpfung. Welch pathetische Arroganz!
Wenn es Überwesen gibt in unserer Galaxis, dann sind sie es.
Seine Anwesenheit wirkt sich erstaunlich positiv auf die Stimmung an Bord aus. Die Jungen nennen ihn den »Hüter«. Auch auf der NETHACK ACHTON, sagt er, hätte man ihn mit diesem Beinamen angesprochen. Offenbar gibt seine kolossale Präsenz Halt und Sicherheit. Das Universum da draußen ist so groß und weit, so schrecklich leer... Unser Schiffchen, obwohl das grandioseste, das Lemurer bis zu diesem Zeitpunkt erbaut haben, hat dem fast nichts entgegenzusetzen. Da tut es gut, ihn unter uns zu wissen, ein Wesen, das sogar dem interstellaren Vakuum für eine gewisse Zeit zu trotzen vermag. Er schützt, behütet, fördert uns, als wären wir seine Kinder. Klinge ich schwärmerisch? Mag sein. Aber ich übertreibe nicht.
Er ist ein Segen für die Arche, ein Segen für die ganze Menschheit.
Wir diskutieren oft. Er erzählt mir viel von dem, was war und sein wird. Nicht alles, glaube ich. Manchmal gewinne ich den Eindruck, dass er mir bewusst Dinge vorenthält. Nun, er wird seine Gründe dafür haben. Ich bedränge ihn nicht, bin mir seiner Loyalität mittlerweile hundertprozentig sicher.
Umgekehrt muss ich dir, o Diarium, gestehen, dass ich meinerseits drauf und dran bin, mich ihm gegenüber unlauter zu verhalten.
In unserem letzten
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