PR NEO 0034 – Die Ehre der Naats
stellte sich so vor das Regal, dass eine etwaige Kamera in der Decke nicht sehen konnte, was er tat. Das Material der Schüsseln erwies sich als viel zu hart. Daraus ließ sich kein effektives Instrument basteln, schon gar nicht etwas, das ihm zur Flucht verhelfen konnte. Er griff nach dem Messer und schob es unter seine Montur. Wenn ein Beobachter ihn dabei sah, erreichte er vielleicht, dass dieser Jemand nachsehen kam, was der Gefangene da so trieb. Und wenn nicht, konnte er das Messer zum Ausbrechen verwenden.
Betont gemächlich schlenderte er zur Zellentür und lehnte sich mit dem Rücken daran. Zur Ablenkung sang er »I'm Forever Blowing Bubbles«, das Lied, das er als dreizehnjähriger Junge zum ersten Mal bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in London gehört hatte. Millionen von Seifenblasen waren im blauen Licht der Lampen in den Himmel aufgestiegen und hatten ihn so fasziniert, dass er sich auch eine Seifenblasenkanone gebaut hatte.
Seine Finger ertasteten die Fuge des Schotts. Die Spitze des Messers glitt mühelos in den Spalt, aber schon nach wenigen Millimetern stieß er auf Widerstand. Wenn die beiden Schotthälften wie Nut und Feder ineinander verzahnt waren, war hier kein Durchkommen. Er fuhr die Verbindungsnaht entlang, ohne Erfolg.
Aber er konnte das Schott aufhebeln! Mittlerweile war ihm egal, ob ihn jemand beobachtete. Er drehte sich zum Schott, wo das Messer beinahe von selbst steckte. Mit aller Kraft stemmte er sich dagegen, aber alles, was er erreichte, war, dass sich die Spitze der Schneide verbog. Selbst die Arkoniden verwendeten also keinen Waffenstahl für ihr Besteck.
Rhodan grinste. Mit diesem verbogenen Messer würde er nie wieder ein Stück Fleisch schneiden können, und als Waffe taugte es nun auch nicht mehr. Er drehte sich um und schleuderte es in Richtung Regal, wo es klirrend gegen die Wand knallte.
In Gedanken sah er sich schon mit der Gabel auf einen drei Meter großen Naat losgehen. Aber noch besaß er eine Karte, die er ausspielen konnte: Toreead.
Rhodan fragte sich, wie weit er dem Naat trauen konnte. Gut, sie hatten gemeinsam Toreeads Lieblingsspeise gegessen, die der Naat extra für ihn mitgebracht hatte – Jaku-Insekten, ein gebratenes Erdmännchen und eine Art Ingwer-Cola-Bier. Welcher irdische Gefängniswächter würde so etwas tun? Aber er kannte die Naats im Allgemeinen und Toreead im Besonderen viel zu wenig, um ein fundiertes Urteil fällen zu können, inwieweit der Naat ihm helfen würde.
Dazu kam Novaals unnachgiebige Art, die Toreead nie in Zweifel stellte. Toreead diente Novaal, dem Kommandanten des Verbandes. Rhodan konnte aber nicht sagen, welche Stellung der Naat mit dem metallisch blauen Mal in der Hierarchie des Schiffes innehatte. Toreead hatte ihm keine einzige der Vorschriften, die sein Kommandant aufgestellt hatte, erklären können – oder wollen. Die lapidare Antwort war stets: »Weil Arkon es so will« oder: »Weil der Regent es befiehlt« gewesen. Auf Rhodan hatten Novaals Vorschriften sinnlos und willkürlich gewirkt, aber womöglich lag das ganz in der Absicht des Kommandanten. Rhodan sollte auf ein hilfloses Kind reduziert werden, um ihn mürbe zu machen und Thora da Zoltrals Versteck doch noch zu verraten.
Und Crest? Rhodan musste schmunzeln, wenn er daran dachte, wie der sichtlich verjüngte Arkonide dem Naat vor der Nase herumtanzte – falls Crest überhaupt in Freiheit war. Hätte Novaal dies gewusst, er hätte seine Untergebenen jeden Winkel des Schiffes durchsuchen lassen, bis sie entweder vor Erschöpfung umfielen oder der Oppositionelle gefasst war.
Da waren die Naats eigen, so menschlich Toreeads Geste mit dem gemeinsamen Mahl auch ausgesehen haben mochte. Der Naat hatte über Funk erfahren, dass sein Kommandant Novaal von dessen Stellvertreter zu einem Duell herausgefordert worden war. Schneller, als Rhodan »Was ist los?« hatte fragen können, war Toreead vom Boden aufgesprungen und ohne lange Erklärungen aus der Gefängniszelle gestürmt. Das Einzige, was Rhodan aus ihm herausbekommen hatte, war, dass Novaal nicht verlieren durfte ...
Inzwischen mussten Stunden vergangen sein. Der Naat war weder zurückgekehrt, noch hatte Rhodan etwas von ihm gehört. Hatte Novaal das Duell verloren? Und sollte das der Fall sein, gab es unter den Naats eine »Säuberung«, der womöglich Toreead zum Opfer gefallen war? Wurden die Anhänger des alten Kommandanten beseitigt? Und das Wichtigste – hatte es für Rhodan eine
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