PR NEO 0039 – Der König von Chittagong
Werk gegangen als Bankim Chandra beim Bau seines Lastenkäfigs.
Auf ihrer Reise nach oben passierten sie mehrere Reihen von Bullaugen, dann erste Oberdecks. Überall zeigten sich Chittagonger, die irgendwelchen Bautätigkeiten nachgingen. Sie wirkten hoch konzentriert. Bewaffnete waren kaum zu sehen, doch Kakuta ahnte, dass sie da waren.
»Die ALL URE OF THE SEAS war zu ihrer Zeit das größte Kreuzfahrtschiff«, sagte André Noir. »Es bot Dekadenz pur für einige Tausend Touristen, die durch die Karibik tuckerten. Behütet und gehegt von servilen Geistern, von Animateuren, begleitet von Prostituierten, in einer künstlichen Blase gehalten, einer Scheinwelt, die ihnen Glück vorgaukelte.«
Noirs Stimme war der Abscheu anzumerken. »Meine Eltern hätten niemals Verständnis dafür gezeigt, dass ich ausgerechnet dieses Symbol perverser Dekadenz zum Zentrum des Free State of Chittagong bestimmt habe.« Er zuckte mit den Schultern. »Die ALL URE ist bloß eine Zwischenstation; und da die Infrastruktur des Schiffs nach ihrer Ausmusterung zu einem Großteil erhalten geblieben ist, benutze ich sie für meine Zwecke. Ich bekämpfe den Kapitalismus mit Mitteln des Kapitalismus. Was für ein herzerwärmender Gedanke!«
Politisch links stehend, machte sich Kakuta erste gedankliche Notizen. Die Eltern wohl ebenfalls. Mehrsprachig, unterhält sich fließend auf Bengali und Englisch. Spricht hochgestochen, gibt sich ein wenig snobistisch.
Das Beiboot kam ruckelnd zum Stillstand. Wenn Kakuta richtig gezählt hatte, dockten sie an Deck fünfzehn an.
Einige Helfer kamen herbeigeeilt. Sie öffneten das Sicherheitsgitter und verankerten das Aufzugschiff. Sie stiegen aus. »Diese kreisrunden Ausleger, die weit über das Deck krängen, sind ehemalige Whirlpools, heute sind meine Sicherheitsleute dort untergebracht – und einige Geschütze. Man muss auf das Schlimmste vorbereitet sein in Zeiten wie diesen.«
Der Franzose stolzierte vorneweg und gab Erklärungen ab, als wäre er ein Fremdenführer. Er sprach von ehemaligen Spas, von künstlichen Sandstränden, Bars, Discos, Wasserrutschen, Restaurants, einem Minigolf-Kurs, der für die hier Ansässigen reaktiviert worden war, einem riesigen Theater, einer Seilrutsche und dem Surfsimulator.
»Das ist ganz schön viel Luxus für einen Antiimperialisten wie Sie, Mister Noir.«
»Glauben Sie bloß nicht, dass Sie mich provozieren können. Ich bin solche Anfeindungen gewohnt.«
Er stieg eine Treppe tiefer, dann noch eine. Ariane und Kakuta folgten ihm wortlos.
»Es riecht nach ... nach ... Wiese und nach Wald«, sagte Ariane unsicher.
»Ganz richtig, Miss Colas.« Noir nickte ihr zu.
Er öffnete ein riesiges Tor und winkte ihnen, galant einzutreten. Mit einem Mal befanden sie sich in einer anderen Welt voll Schönheit und Farbenpracht. Geschäftsfassaden links und rechts waren von Bäumen und Pflanzen verdeckt, schmale Wege wanden sich durch das Dickicht. Die Schwüle trieb ihnen Schweiß auf die Stirn. Mangrovenbäume hatten ihre Wurzeln durch Löcher im Boden getrieben, Metallwände waren absurd verbogen und verzogen. Zwischen einzelnen Feuchtbiotopen zeichneten sich Schatten flüchtender Tiere ab.
»Einstmals waren von den Betreibern der ALL URE auf diesem Deck mehr als zwölftausend Blumen, Sträucher und Bäume gepflanzt worden. Wir haben bei der Übernahme des Schiffs den Wildwuchs gefördert und einige heimische Arten angesiedelt. Und Tiere, die in freier Wildbahn kaum noch eine Überlebenschance besitzen. Axishirsche, Wildschweine, Bindenwarane und Otter. Das Deck darunter gehört ebenfalls den Tieren. Es ist für Menschen großteils gesperrt. Dort würden Sie Pythons und einige Krokodilarten finden.«
»Womit füttern Sie die lieben Tierchen?«, fragte Kakuta. »Etwa mit unliebsamen Gästen?«
»Mag sein.« André Noir schritt voran, den schmalen Weg entlang. Im Geäst hockten bunte Paradiesvögel, die lauthals vor sich hin krächzten. Eine grellgrüne Schlange ringelte sich um einen Ast unmittelbar vor ihnen und starrte ihnen gelassen entgegen. Der Franzose packte sie mit einem raschen Griff und setzte sie woanders ab. »Auch hier sollte man achtsam bleiben und sich niemals zu sicher fühlen.«
Schweigend durchwanderten sie den Mangrovendschungel. Kakuta staunte über die Vielfalt, die Flora und Fauna zu bieten hatten. Stühle, Tische, Drehständer, Theken, Beleuchtungskörper, Mannequinpuppen, bequeme Sofas und Kleiderständer – dies alles war längst von der
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