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PR NEO 0046 – Am Rand des Abgrunds

PR NEO 0046 – Am Rand des Abgrunds

Titel: PR NEO 0046 – Am Rand des Abgrunds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Themsen
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Anfang der Reise, als alles noch aus Hoffnung bestanden hatte. Wieder öffnete sie die Tür und trat in Gedanken zurück in die Vergangenheit ...
     
    »Du bist spät dran, Jake.«
    »Ich muss dich leider enttäuschen. Ich bin nicht Jake.« Sharmilas Herz klopfte hart, als sie ins Licht der Soundkabine trat. Sie konnte nicht abschätzen, wie dieses Gespräch verlaufen würde, doch sie musste es führen.
    Hélder sah von seinen Geräten auf und musterte sie. Das Licht schien hell auf den Blitz, den er sich in das kurze Haar rasiert hatte und der wie eine Spiegelung der Narbe auf seiner Wange wirkte. »Sieh an, die Chipsatzmarionette. Was willst du hier?«
    »Ich wollte sehen, was die Amerikaner ihrem indischen Äffchen so antrainiert haben.«
    Hélder schürzte die Lippen. »Kauf meine Downloads. Da ist alles drin.«
    »Habe ich schon. Und ich habe nur immer das Gleiche gehört: amerikanischen Mainstream-Instrumentalmist. Percussion, E-Gitarre, Oboe, Trompete. Dazu ein paar aufmüpfige Texte runterleiern und einen provokativen Namen aus der westlichen Geschichte entlehnt, damit die Jugend auf den Zug springt. Aber die Verpackung verrät den Inhalt. Es ist alles hübsch mundgerecht gemacht, um leicht verdaulich zu sein. Nur nichts Widerspenstiges, nichts, was den Musikgenuss unterbrechen und zum Zuhören veranlassen könnte. Nichts, was nicht brav der westlichen Kultur angepasst ist.«
    »Sagt das Püppchen, das in jahrtausendealten Kleidchen und mit angeschminktem Porzellangesicht die Leute unterhält, die sich Karten leisten können, für deren Preis ein einfacher Inder ein Jahr lang essen könnte.«
    »Und schon sind wir wieder bei Protestslogans und Politik, und das Können wird unwichtig. Du bist kein Künstler, der eine politische Meinung vertritt, Hélder Skelter, sondern nur ein verbitterter, gieriger Mann, der die Kunst zu seinen eigenen Zwecken missbraucht.«
    »Bockmist!« Er riss sich den Kopfhörer herunter und warf ihn achtlos zur Seite. »Ich bin ein Künstler! Mehr als du, die du nur nachhampelst, was andere schon tausendfach vorgehampelt haben!«
    »Dann beweis es mir. Mach eine Sitar, eine Tanpura, eine Bansuri oder eine Pung. Zeig mir, dass du auch die indische Trommelkunst beherrschst und nicht nur das dumpfe Dauergelärme der Amerikaner. Beweis mir, dass du mehr kannst als das, worauf sie dich gedrillt haben, als sie dich als Dressuräffchen in ihr Land geholt haben.«
    »Ich hab es nicht mehr nötig, mich irgendwem zu beweisen.«
    »Du scheust die Herausforderung? Du kneifst? Das hätte ich nicht von dir gedacht. Der ach so kämpferische Hélder Skelter ist ein Feigling, der vor einer simplen Aufgabe davonläuft, die jeder Straßenmusiker in Neu-Delhi beherrscht.«
    Er wurde bleich, und einen Moment hatte sie Angst, zu weit gegangen zu sein, als er die Rechte zur Faust ballte. Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück, doch dann fing sie sich und streckte den Rücken.
    Hélder atmete durch und schloss die Augen. Seine Finger öffneten sich wieder und glitten über die Kontrollen seiner Geräte, ohne dass er hinschauen musste. Sie sah, dass er alles zurücksetzte, alles löschte, was er zuvor eingespeist hatte.
    Er bewegte und verformte seine Lippen, als wolle er die Muskeln trainieren. Ab und zu gab er einen leisen Ton von sich. Es erinnerte Sharmila an ein Orchester vor dem Konzert, während des Stimmens der Instrumente. Endlich öffnete er die Augen wieder.
    »Schluck das, Sharmila«, sagte er. Und dann begann er.
    Der Grundrhythmus hätte viele Arten von Trommeln darstellen können, auch wenn Sharmila sich an die Pung erinnert fühlte. Er speiste eine Abfolge in sein Gerät und ließ sie wiederholen, während er die Lippen befeuchtete und den Kopf zurückneigte. Die Klänge, die er als Nächstes erzeugte, waren eindeutig. Erst einige schwebende Töne, dann schnelle Läufe auf einer Khartal.
    Speichern, auf Wiederholung setzen, genau angepasst an den vorher gesetzten Rhythmus. Er senkte den Kopf wieder, öffnete die Augen und spitzte die Lippen. In die Lücken, die das Saiteninstrument ließ, flocht er die warmen Töne der Bansi ein, einer Bambusflöte.
    Sharmila begegnete seinem Blick und fing zu tanzen an.
    Sie folgte dem Fluss seiner Musik, seiner Rhythmik, als er erneut die Trommel übernahm und Variationen übte. Von Elementen aus dem Manipuri sprang sie zum Bharatanatyam, flocht dazwischen expressive Techniken aus dem modernen Ballett ein, während er wechselte, um dann wieder den

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