PR NEO 0047 – Die Genesis-Krise
niemand.
Im Grunde genommen hatte Iga natürlich recht. Mercant und seine Leute waren momentan zu Beobachtern degradiert. »Leg dich hin, Allan«, sagte sie noch mal, »du siehst beschissen aus.«
»Danke!«, erwiderte er trocken. »Aber das geht nicht. Ich werde gebraucht.«
»Das wirst du nicht. Du kannst nichts tun, außer zu warten. Und für den Moment bereit zu sein, wenn die Kacke wirklich am Dampfen ist.« Sie zog ihn mit sich in Richtung des arkonidischen Schwebers, der sie auf dem schnellsten Weg zurück zum Stardust Tower bringen würde.
Er ließ es geschehen. »Ich hoffe nur«, sagte er, während sie auf die Sitze kletterten, »Haggard hat recht mit seiner Vermutung. Wir zahlen einen hohen Preis in jeder Minute, die er braucht, um dieses Antivirus zu synthetisieren. Und seiner Ankündigung nach wird das noch eine ganze Zeit dauern.« Ihm kam eine Idee. »Lass uns einen letzten kleinen Abstecher machen, ehe wir zu meiner Wohnung gehen.«
»Allan, du kannst in Lakeside nichts ausrichten! Warum solltest du dich vor den Schirm ...«
»Mein Ziel ist nicht das Institut«, stellte er klar. »Ich will ins Krankenhaus.«
»Wieso das? Brauchst du ein Medikament?«
Fast hätte er lachen müssen. »Darum geht es nicht. Im Terrania Central liegt Caroline Frank.«
»Wer ist das?«
»Sie hat Doktor Haggard den Brief übergeben. Die Finder-Mutantin, die André Noir getötet hat.« Natürlich hatte er Iga die Hintergründe erklärt – aber eben nicht jedes Detail. Oder sie hatte sich Carolines Namen nicht merken können – er wusste es nicht.
»Da sie eine Mutantin ist, wird sie doch wohl betäubt sein? Was willst du also bei ihr?«
»Trotzdem. Ich will sie sehen. Sie hat den Brief überbracht. Im Prinzip liegt alles an ihr und an diesem André Noir. Wenn einer der beiden ein falsches Spiel spielt ...« Er ließ den Satz unbeendet. Es war auch so deutlich, was er meinte, und die Worte klangen wie ein alter, düsterer Fluch.
»Du glaubst, dass du bei Caroline Frank etwas in Erfahrung bringen wirst? Hast du eine ... Vorahnung?«, fragte Iga.
Er winkte ab. »Wie könnte ich? Ich bin kein Mutant, vergessen? Ich dachte das früher genau wie Homer G. Adams, aber im Institut haben sie uns auf den Kopf gestellt und durch jede Mangel gedreht, die du dir nur vorstellen kannst.« Er lachte humorlos. »Die kleine Sue Mirafiore hat versucht, meine Gabe zu verstärken oder besser freizulegen – doch sie fand nichts. Fulkar und die anderen sind sich einig, dass ich ebenso wenig ein Mutant bin wie Homer. Er hat ein fotografisches Gedächtnis, ja ... Allerdings hat es mit einer Mutantengabe nichts zu tun. Genau wie mein besonderes Gespür. Ich verfüge einfach über einen guten Instinkt, alles darüber hinaus hatte ich mir eingeredet. Und wenn es noch einen Beweis braucht, dass wir keine Parafähigkeit haben, hat der heutige Tag ihn gebracht. Weder mit Homer noch mit mir ist die angebliche Gabe durchgegangen. Wir lassen keine Feuerbälle explodieren und ...«
»Schon gut«, unterbrach Iga den immer erregter werdenden Redefluss. »Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen oder zu verteidigen.«
Er schwieg verbissen. Das Thema bohrte in ihm bereits seit Langem, und wegen der Ereignisse dieses Tages, wegen der Genesis-Krise, wie Fulkar sie inzwischen nannte, war alles nur schlimmer geworden. Mercant sehnte sich einerseits nach einer Mutantengabe und war unendlich enttäuscht, dass er nicht dazugehörte ..., aber an diesem Tag hatte es ihm wohl mit einiger Sicherheit das Leben gerettet. Die Vorstellung, ebenfalls in Lakeside eingeschlossen zu sein und die Kontrolle über sich zu verlieren, andere womöglich unwissentlich in den Untergang zu reißen, war grauenhaft. Es nagte an ihm, und das wurde nur noch schlimmer dadurch, dass unter der Energiekuppel die meisten derjenigen festsaßen, die dem nahekamen, was Mercant als Freund bezeichnete.
Mühsam schob er den Frust und die allgemein aufgewühlten Gefühle beiseite. »Entschuldige bitte, Iga«, sagte er schließlich.
»Wie du reagiert hast, ist nur ein weiterer Beweis dafür, dass es für dich höchste Zeit wird, ein paar Stunden zu schlafen.«
»Lass uns noch kurz Caroline Frank besuchen. Danach soll's mir recht sein.«
Mercant schaltete den Schweber an und steuerte ihn sicher durch die leeren Straßen. An einem normalen Tag wären trotz der späten Uhrzeit in der Stadt etliche Menschen unterwegs gewesen; angesichts der Katastrophe trieb es aktuell niemanden ins
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