PR NEO 0050 – Rhodans Weg
Perry, der sich das nur schwer eingestehen konnte und sich einfach nur wünschte, dass Tin Can Deb in Ruhe ließe. Er war nicht gut für sie.
»Okay. Wir können gehen.«
Deborah war vors Haus getreten. Perrys Schwester hatte ihre Protektoren angelegt. Nicht durchgestylt wie die Tin Cans, aber immerhin Protektoren, wenn auch zusammengestückelt und geflickt wie alles im Hause Rhodan.
»Prima.«
Deb ging zum Schuppen, um ihr Bike zu holen. Perry folgte ihr mit Blicken. Sie war seine große Schwester. Dreizehn. Zwei Jahre älter als er. Ein Kind noch und doch keins mehr. Setzte sie ihren Helm auf, ging sie als sechzehn oder siebzehn durch. Es machte Perry unruhig. Und noch unruhiger, dass sie damit Jungs wie Tin Can anlockte. Tin Can war sechzehn, aber einssechsundachtzig groß und bullig wie ein Erwachsener.
»Los geht's!« Deb kam auf ihrem Stumpjumper aus der Garage geschossen, flitzte an Tin Can vorbei und nahm lässig das halbe Dutzend Stufen zur Straße. Unten angekommen, bog sie nach rechts ab, die Spring Street hinauf. Tin Can warf die halb gerauchte Zigarette auf die Terrasse, setzte den Helm auf und setzte sich hastig auf Debs Fährte. Er konnte es nicht ausstehen, wenn ihm jemand etwas vormachte.
Perry sah zu, wie Tin Can Deb einholte und ihr auf den Rücken klatschte. Deb lachte.
Tin Can war, was seine Schwester wollte. Aber Tin Can war so hohl wie eine Blechbüchse. Er war nicht gut für sie. Das dachten auch ihre Eltern. Tin Can hatte Hausverbot.
Perry überlegte. Seine Mutter war in der Garage, am anderen Ende des Grundstücks. Sie richtete Pakete wie seit Monaten, verscherbelte über eBay und Craig's List, was immer in ihrem Haus noch von Wert war, um die Hypothekenraten zu bezahlen.
Er sollte ihr sagen, dass Tin Can aufgekreuzt war. Aber das wäre Petzen gewesen. Und feige. Er hätte es seiner Mutter überlassen, sich der Sache zu stellen.
Perry Rhodan wollte nicht feige sein. Deb war immer für ihn da, wenn es darauf ankam. Sie hatte sich am Telefon als seine Mutter ausgegeben, als Perry mit sechs weggelaufen war. Deb hatte ihn gedeckt, als er mit acht sein gesamtes gespartes Taschengeld für einen Tandem-Gleitflug aufgebraucht hatte. Gegen den Willen seiner Eltern, die alles taten, um ihn am Boden zu halten, wie es ihm schien. Deb hatte einen Brief aufgesetzt und die Unterschriften ihrer Eltern gefälscht, damit der Pilot den Jungen mitnahm.
Er holte tief Luft, fasste einen Entschluss. Mit einem Satz war er auf der Fensterbank, mit einem zweiten hing er am Fallrohr der Regenrinne und hangelte sich nach unten. Das Rohr gab nach, aber es hielt. Perry war schlank, ein Leichtgewicht. Er erreichte den Boden, ohne gesehen zu werden. Seine Eltern hatten ihm verboten, aus dem Zimmer zu klettern. Deb grinste nur darüber und grüßte ihn ab und zu mit »He, Wandkrabbler! Wie steht's?«
Für Momente wie diese liebte er seine Schwester. Und deshalb musste er nach ihr sehen. Perry rannte in den Schuppen, sprang auf sein Bike. Ein einfaches Hardtail, zu groß und zu schwer für ihn und mit einem Federweg kürzer als ein Otterschwanz, wie Tin Can einmal in seiner abfälligen Art bemerkt hatte.
Perry trat in die Pedale, bremste vor den Stufen ab, rannte mit dem wild auf der Treppe bockenden Rad hinunter und machte sich an die Verfolgung.
Die Spring Street war flach, sein schweres Rad fiel nicht so sehr ins Gewicht. Perry holte auf. Deb und Tin Can fuhren langsam, führten eine Art Tanz auf. Tin Can umkreiste Deb, als zirkele er seine Beute ein, ignorierte den – wenn auch spärlichen – Gegenverkehr. Als ein Ford Escape in die Bremsen stieg und der Fahrer laut hupte, zeigte ihm Tin Can den Mittelfinger, ohne auch nur eine Sekunde seine Augen von Deb zu lassen.
Die letzten Häuser blieben hinter ihnen zurück. Die Straße wurde von niedrigen Bäumen und Büschen gesäumt. Jetzt, Mitte Oktober, war ihr Laub gelb und rot. Die Spring Street wurde abschüssig. Perry schaltete hoch, trat härter in die Pedale, um den Schwung mitzunehmen. Die Straße schwenkte nach links. Die Gabelung zur Glen Road kam in Sicht – und Deb und Tin Can waren verschwunden.
Perry stieg hart in die Bremsen, wäre um ein Haar über den Lenker gegangen. Einige Augenblicke war er verwirrt, dann ging ihm sein Denkfehler auf. »Unser spezieller Ride«, hatte Tin Can gesagt.
Perry drehte um. An der Seite der Straße war ein kleiner Parkplatz. Drei Autos mit einheimischen Kennzeichen verloren sich auf der ungepflasterten Fläche.
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