PR Odyssee 05 - Das strahlende Imperium
sich. Dies ist eine rein mechanische Version des Vatermord-Paradoxons, das den Vorteil hat, die schwierige Frage nach der Willensfreiheit zu umgehen.
Tatsächlich zeigten Novikov und seine Kollegen, dass mögliche Zeitsprünge der Billiardkugel ihr früheres Pendant doch wieder in das Wurmloch einlochen, sodass sich kein Widerspruch ergibt! Dies kann sogar auf ganz unterschiedliche Weise geschehen. Selbst kompliziertere Fälle verstoßen nicht gegen das Selbstkonsistenzprinzip. Wenn zum Beispiel eine Billiardkugel als Bombe mit Berührungszünder durch ein Wurmloch in die eigene Vergangenheit reist, sich selbst trifft und dabei zerstört, kann sie zwar nicht mehr ins Wurmloch fallen und damit auch nicht in die Vergangenheit fliegen und sich selbst zerstören und so weiter. Trotzdem könnten Explosionssplitter über das Wurmloch in die Vergangenheit gelangen und den Zünder der Bombe aktivieren, sodass die Geschichte erneut widerspruchsfrei wäre.
Natürlich lassen sich noch vertracktere Probleme ausdenken. Es ist bisher aber weder bewiesen worden, dass sich die auftretenden Paradoxien in jedem Fall verhindern lassen, noch ist ein Beispiel bekannt, bei dem man sich keine selbstkonsistente Entwicklung vorstellen kann. Es herrscht also ein argumentatives Patt.
Vielleicht sind Zeitreisen logisch betrachtet harmlos, vielleicht aber auch nicht.
Doch auch das Selbstkonsistenzprinzip hat seinen Preis: Mit geschlossenen zeitartigen Kurven geht ein gespenstischer Indeterminismus einher, der akausale Quanteneffekte weit übersteigt. »Man könnte von Anfang an daran gehindert werden, die Zeitmaschine überhaupt zu besteigen - von etwas vollkommen Unvorhersag-baren, das aus ihr herauskommt.
Wenn es viele selbstkonsistente Möglichkeiten gibt, die einen hindern, kann man nicht sagen, was da materialisiert«, schreiben Frank Arntzenius und Tim Maudlin, Philosophie-Professoren an der amerikanischen Rutgers University in New Jersey. »Im Gegensatz zur klassischen Vorstellung, Zeitreisen würden zu Widersprüchen führen, ist das eigentliche Problem die Unterbestimmtheit: Die Geschichte kann konsistent auf viele verschiedene Weisen ablaufen.«
Das Selbstkonsistenzprinzip wirft bei genauerer Betrachtung noch weitere Probleme auf. »Es scheint dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik zu widersprechen. Alle irreversiblen Effekte, die bei Zeitparadoxien entstehen müssten, werden außer Acht gelassen«, kritisiert H. Dieter Zeh, emeritierter PhysikProfessor von der Universität Heidelberg. Insofern ist die Widerspruchsfreiheit der Zeitreisen oft trügerischer Schein. Die Widersprüche werden hier nur versteckt, nicht beseitigt. Unter der Annahme, dass kein ominöser, antiphysikalischer Freier Wille existiert, argumentiert Zeh wie Stephen Hawking für die Unmöglichkeit von Zeitreisen und somit Zeitparadoxien: »Da Geometrie und Materie laut Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie dynamisch miteinander verbunden sind, müssen Randbedingungen, die zu einem Zeitpfeil führen, auch die Zeitordnung schützen - also die Abwesenheit von
Zeitschleifen garantieren, die laut Allgemeiner Relativitätstheorie im Prinzip möglich wären. Außerdem ignorieren die exotischen klassischen Raumzeiten mit geschlossenen Zeitkurven wie viele clevere DetektivGeschichten einfach den Rest der Wirklichkeit - in diesem Fall die Quantentheorie.«
Zeitreisen in Paralleluniversen
David Deutsch und Michael Lockwood von der Universität Oxford haben daher 1991 und 1994 sicherheitshalber nach einer weiteren Möglichkeit für Zeitreisen ohne Paradoxien gesucht. Ihre Hypothese löst das Problem tatsächlich, hat aber einen atemberaubenden Preis.
Die beiden Physiker stützen sich auf eine provokante Interpretation der Quantenmechanik, die der amerikanische Physiker Hugh Everett III im Jahr 1957 vorgeschlagen hat. Er vermutete, dass immer, wenn die Natur eine Wahl zwischen zwei oder mehr Zuständen hat (zerfällt zum Beispiel ein bestimmtes radioaktive Atom in einer Sekunde oder nicht?), sich das ganze Universum gleichsam aufspaltet. Mit jeder scheinbaren Alternative verzweigt es sich in zwei oder mehr Paralleluniversen, die exakt miteinander identisch sind bis auf die gerade relevante Alternative. Es werden also gewissermaßen alle Möglichkeiten auch wirklich. So gibt es nun ein Universum, in dem dieser Satz mit einem Punkt endet, aber auch eines, in dem das nicht der Fall ist. Und beide haben fortan ihre eigene Geschichte. (Wem diese Möglichkeit
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