PR Odyssee 05 - Das strahlende Imperium
gegenteiligen experimentellen Befund wäre dann gar nicht über Zeitreisen nachzudenken. Wissenschaftler mit dieser Einstellung halten Zeitreisen für eine völlig exotische Angelegenheit. Sie leugnen die Möglichkeit von Wurmlöchern, Warp-Antrieben und anderen Wegen zu geschlossenen zeitartigen Kurven und warnen vor überhitzten Spekulationen. Freilich müssen Wurmlöcher nicht notwendig zu Zeitreisen führen. Sie könnten ja Einbahnstraßen in andere Uni-versen sein oder nur mikroskopisch wabern, in beiden Fällen könnten paradoxe Situationen gar nicht erst ent-stehen. Außerdem gibt es - theoretisch - auch andere Möglichkeiten, eine Zeitmaschine zu bauen. Die Kritik ist also nicht konsequent genug. Und ein generelles physikalisches Argument gegen Zeitreisen hat noch niemand gefunden und hinreichend begründet.
Das andere Extrem besteht darin, die Physik zu revolutionieren. Visser: »Man schließt seinen Frieden mit der Möglichkeit von Zeitreisen und schreibt die ganze Physik (und Logik) von Grund auf neu. Das ist eine sehr schmerzliche Prozedur, die man nicht so einfach in Angriff nehmen wird. Man müsste ja einräumen, dass das Universum mehr als eine tatsächlich vergangene Geschichte besäße. Es hätte multiple Zeitverläufe, die durch Zeitreisen miteinander verbunden sind. Das würde natürlich das Universum für Historiker unsicher machen, denn es unterläuft die Bedeutung einer einzigartigen Geschichte, die die Historiker beschreiben.«
Wie diese neue Physik aussehen könnte, ist schwer vorstellbar. Mathematisch repräsentierbar wäre sie durch Non-Hausdorff-Mannigfaltigkeiten, die so verrückt sind, dass nur sehr hartgesottene Mathematiker sich überhaupt damit beschäftigen wollen. Physikalisch wäre man zu extremen Annahmen gezwungen. Bei multiplen Zeitlinien gäbe es keine eindeutige Vergangenheit mehr, nichts stünde unwiderruflich fest. Dasselbe gilt für die Zukunft. Jeder Zeitpunkt könnte also viele verschiedene Vergangenheiten und Zukünfte haben. »Noch radikaler: Man kann sogar über multiple, koexistierende Versionen der Gegenwart nachdenken«, sagt Visser, wobei hier der Übergang zu Parallelwelt-Hypothesen fließend wird.
So hat Jack W. Meiland 1974 über eine zweidimensionale Zeit spekuliert, die gleichsam eine Art Ebene aufspannen würde, auf der man sich wie auf einer Tischplatte bewegen könnte (unsere gewohnte Kausalität könnte es in einer solchen Welt freilich nicht geben). Und der amerikanische Philosoph David Lewis behauptete 1975, Zeitreisen würden Verzweigungen der Zeit erzeugen. Diese Idee hat schon David R. Daniels 1934 in einer in der SF-Zeitschrift Wonder Stories veröffentlichten Geschichte vorweggenommen. Und 1941 machte sie der geniale argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges zum Plot seiner Erzählung Der Garten der Pfade, die sich verzweigen.
Die Zeitschutz-Verordnung
Da eine solche Umwälzung den meisten Physikern zu weit geht und eine auf Ursache und Wirkung aufbauende Weltbeschreibung womöglich vollkommen untergräbt, hat man nach weniger bedrohlichen Alternativen Ausschau gehalten. Ein Grund für die Nichtexistenz von Zeitreisen könnte einfach darin bestehen, dass die bisherigen Theorien für Zeitmaschinen zu starke Vereinfachungen beziehungsweise Rechen- oder Denkfehler enthalten.
Sicherlich gibt es gute Argumente gegen die verschiedenen Hypothesen von Zeitmaschinen, aber sie sind nicht zwingend und in jedem Einzelfall anders: Gödels Modell ist stimmig, trifft aber für unser Universum nicht zu. Die Van-Stockum-Situationen und ihre Verwandten erfordern unendlich lange Strukturen, die unwahrscheinlich schnell rotieren. Die wüsten Nordström-Reissner-, Kerr- und Kerr-Newman-Lösungen für geladene und/oder rotierende Schwarze Löcher sind unsichtbar hinter einen Ereignishorizont verbannt. John Wheelers mikroskopische Wurmlöcher hat noch niemand gesehen, und inwiefern sie makroskopische und paradoxe Effekte haben, ist zweifelhaft. Die Energiebedingungen von Wurmlöchern und WarpAntrieben sind so extrem, dass es fraglich ist, ob die Natur hier mitspielt - ob sie beispielsweise die erforder-liche exotische Materie erlaubt. Wirklich überzeugend wäre allerdings erst ein allgemeingültiges Argument gegen geschlossene zeitartige Kurven - wenn in den Naturgesetzen selbst gleichsam eine Art Zeitpolizei stecken würde.
Schon 1984 formulierte Paul Birch die These von der Existenz eines >Censor field<. Diese physikalische Zensur sollte Zeitreisen
Weitere Kostenlose Bücher