PR Odyssee 06 - Die Lebensboten

und längst nicht jeder, der sie betreten hatte, auch aus ihr zurückgekehrt war. Eigentlich die wenigsten, wenn er genau darüber nachdachte.
    Und die Götzen. Sie waren noch älter. Nicht einmal in den Ordenstürmen wusste man, seit wann sie die Geschicke der Nodronen leiteten oder wer sich hinter dieser Bezeichnung verbarg.
    Axx ging weiter und kniff die Augen zu, um in dem schwachen Licht besser sehen zu können. Über einer Öffnung weit vor sich machte er das Symbol der Zwillingsgötzen aus, ja des gesamten Empires von Nodro, zwei einander überlappende Köpfe, einer in Schwarz, einer in perlmuttartigem Weiß.
    Zwei Köpfe. einer schwarz, einer weiß.
    Eine wunderschöne Frau und ein Furcht erregend hässlicher
    Mann.
    So besagten die Gerüchte, von denen niemand wusste, ob sie der Wahrheit entsprachen. Sah das Symbol des Empires tatsächlich aus diesem Grund so aus, wie es aussah? Der weiße Kopf für die Frau, der schwarze für den Mann?
    Plötzlich änderte sich etwas. Zuerst bemerkte er es gar nicht, es ging schleichend vonstatten, unauffällig. Doch mit einem Mal spürte er, dass mit jedem Schritt, den er tat, seine Angst geringer wurde und seine Nervosität schwand. Gleichzeitig nahm er den Anflug einer ganz anderen Regung wahr, eines Wunsches, der immer übermächtiger wurde.
    Des Drangs, den Zwillingsgötzen zu dienen.
    Sie sind meine Götter, dachte er. Natürlich will ich ihnen dienen.
    Aber es war mehr als nur das. Es war ein Verlangen, das er fast körperlich spürte, bis in die tiefsten Fasern seiner Zellen. Es bereitete ihm geradezu Schmerzen, diesem Drang nicht auf der Stelle nachkommen zu können.
    Zehn weitere Schritte, und hätten die Zwillingsgötzen es von ihm verlangt, er hätte ohne das geringste Zögern versucht, sich das Herz aus der Brust zu reißen.
    Er ging schneller. Als er die Öffnung erreichte, stellte er fest, dass sie so niedrig war, dass er niederknien musste, um hindurchkriechen zu können.
    Zuerst wunderte er sich darüber. Götter, die die Nodronen, die ihnen huldigen wollen, durch ein kleines Loch kriechen lassen? Konnte es wirklich wahr sein? Konnte es tatsächlich einen dermaßen primitiven Grund geben, weshalb diese Öffnung so tief in die Wand eingelassen war?
    Zwingen die Götzen diejenigen, denen sie eine der raren Audienzen gewähren, auf diese Weise, sich von vornherein vor ihnen zu erniedrigen?
    Andererseits jedoch. was war so verwerflich daran, auf die Knie zu gehen und sich den Götzen kriechend zu nähern? Alles in ihm sehnte sich danach, ihnen zu dienen. Warum sollte er ihnen nicht von vornherein seine Ehrfurcht beweisen? Vielleicht war dies genau der richtige Weg für alle Nodronen, sich den Götzen zu nähern.
    Der Gedanke war mit einem Mal da: Niemand darf sich anmaßen, ihnen auf Augenhöhe entgegenzutreten!
    Es war sein eigener Gedanke, aber auch ein fremder, als sei er ihm irgendwie eingegeben worden.
    Er schob sich auf allen vieren durch die Öffnung. Raue Pflanzenfasern stachen in seine Handflächen, der gesamte Boden war mit Matten aus diesem Material ausgelegt.
    Er kroch weiter durch die Dunkelheit, ignorierte den Schmerz, den die scharfen Fasern ihm zufügten. Schließlich erfasste ihn ein kühler Luftzug.
    Überrascht stellte Axx fest, dass er ihn willkommen hieß, sein gesamter Körper war nass vor warmem Schweiß. Lag es daran, dass es hier wärmer war als gewohnt, oder reagierte sein Körper auf diese Weise auf die einzigartige Begegnung, die nun unmittelbar bevorstand?
    Anders ausgedrückt. War es Angstschweiß?
    Er hielt den Kopf gesenkt, schaute weiterhin auf die Matten hinab.
    So willkommen der Luftzug gerade noch gewesen war, so unangenehm wurde er nun. Axx fröstelte plötzlich, spürte, wie sich auf seinem Nacken eine Gänsehaut bildete, als hätte sich das Gefüge von Raum und Zeit mit einem Mal verändert, als befände er sich nicht mehr in der Götzenstadt, sondern auf dem höchsten Gipfel dieser Welt, schutzlos den Gewalten der Natur ausgesetzt, der Kälte und dem Sturm.
    »Sieh an«, vernahm er eine hohe, wohl modulierte Stimme. »Der junge Nodrone, den wir zu uns gerufen haben. Er hat nicht einmal um eine Audienz ersucht. Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, uns sehen und sprechen zu wollen, meinst du nicht auch?«
    Das ist richtig, dachte Axx. Er wusste wirklich nicht, weshalb er hier war. Er hatte nicht um eine Audienz gebeten, vielmehr den Befehl erhalten, sich in der Götzenstadt einzufinden, und um alles andere hatten sich