PR Odyssee 4 Die Traumkapseln
nicht selbst, sondern reflektiere das Licht der Sonne, ergänzte Anaxagoras, der sie für einen riesigen glühenden Stein hielt. Diese (und viele andere) Gedanken machten die so genannten vorsokratischen Philosophen zu echten Naturphilosophen, die die Natur der Dinge nicht durch überweltlichen Hokuspokus oder allerhand Gottheiten zu erklären versuchten und insofern als Vorläufer der modernen Naturwissenschaft gelten können. Und die Wissenschaft begann ja damals auch zu entstehen, zuerst in und mit der Astronomie.
Dass die Erde der Mittelpunkt sei, haben bereits Eudoxos von Knidos und Apollonios von Perge im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr. gelehrt. Im mathematisch ausgearbeiteten Weltmodell von Claudius Ptolemäus (vor 140 v. Chr.) fand das geozentrische Weltbild dann seinen endgültigen und über tausend Jahre bestehenden Niederschlag. Dabei hatte schon Aristarch von Samos im 3. Jahrhundert v. Chr. behauptet, nicht die Erde, sondern die Sonne stünde im Mittelpunkt des Kosmos. Er war es auch, der sich erstmals an kosmische Entfernungsbestimmungen wagte und schätzte, dass die Sonne zwanzig Mal so weit entfernt sei wie der Mond und sechs bis sieben Mal so groß sei wie die Erde. (Tatsächlich ist sie knapp vierhundertmal so weit weg und mehr als hundertmal so groß.) Doch erst in den Jahren 1514 und 1543 wurde mit den Schriften von Nikolaus Kopernikus, der Aristarch würdigte, das heliozentrische Weltbild ein ernsthafter Konkurrent zum irdischen Mittelpunktsglaube. Und mit Johannes Keplers Erkenntnis von 1609, dass die Planeten nicht auf Kreis-, sondern Ellipsenbahnen die Sonne umrunden, war auch die mathematische Beschreibung exakt erfolgreich. Damit wurden die kristallenen Sphären, die in der auf Aristoteles zurückgehenden Vorstellung als Ort der Planetenbahnen die Erde kugelschalenförmig umgaben, gleichsam zerschlagen, und die Erde taumelte ruhelos durchs All. Was zunächst bloß als besseres Rechenmodell gedacht war, setzte sich allmählich und trotz heftiger kirchlicher Widerstände als das angemessenere Weltmodell durch - mit weitreichenden theologischen Konsequenzen, galt die ruhende Erde bis dahin doch als Fußschemel Gottes, der nun gleichsam obdachlos wurde, weil er seit Aristoteles sein eigentliches Heim hinter der äußersten Kristallsphäre, der Fixsternsphäre hatte. (Selbstverständlich ist religiöser Glaube keineswegs an solche Vorstellungen gebunden, und später wurde von Theologen sogar argumentiert, wenn auch selten, dass die Annahme einer Vielzahl der Welten weitaus besser zur unbeschränkten Allmacht des Schöpfers passe.) Seit Kopernikus scheint der Mensch auf eine schiefe Ebene geraten, heißt es in Also sprach Zarathustra von Friedrich Nietzsche, er rollt immer schneller nunmehr aus dem Mittelpunkt weg, wohin, ins Nichts, ins durchbohrende Gefühl seines Nichts?
Inseln im Leeren
Dass die Sterne nicht auf einer Kugelschale verteilt sind, hat erstmals Galileo Galilei 1632 nachgewiesen. Aber schon viel früher besaßen vorsokratische Philosophen die gedankliche Kühnheit, ein unendliches Weltall anzunehmen - in dem sich dann eigentlich auch die Frage erübrigte, ob die Erde oder die Sonne im Mittelpunkt stünden. Es waren die Atomisten Demokrit und Leukipp im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr., die behaupteten, die Materie ließe sich nicht beliebig klein zerteilen. Ihnen zufolge gibt es nur die Atome und das Leere - die verschiedenen Atomsorten fallen gleichsam durch den unendlichen leeren Raum und verbinden sich mal hier, mal dort zu größeren Objekten, und überall sind es die gleichen Arten von Atomen mit dem gleichen Verhalten. Diese Grundannahmen, später von Epikur und seinen Schülern geteilt und heute von astronomischen Beobachtungen so weit es möglich ist gestützt, standen in direkter Opposition zur Auffassung des Aristoteles, wonach unsere Welt einzigartig sein muss und es keine andere geben kann. Und noch 1584 sorgte die Behauptung des italienischen Theologen und Philosophen Giordano Bruno (der nach sieben Jahren Kerkerhaft im Februar 1600 auf dem Scheiterhaufen der Inquisition in Rom verbrannt wurde), es gäbe unendlich viele Sterne und auch andere seien belebt, für einen großen Skandal. Dabei publizierte der Kardinal Nikolaus von Kues im Jahr 1440 schon ähnliche Ansichten.
Philosophische Behauptungen und Spekulationen sind das eine, naturwissenschaftliche Indizien etwas anderes. Ob der Weltraum wirklich unendlich ist, werden wir niemals sicher wissen und schon gar nicht
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