PR Odyssee 4 Die Traumkapseln
sagte Peikade. »Manche Arbeiten wären doch sonst viel zu langweilig. So kann man einander dabei die schönsten Geschichten erzählen.«
»Nein, nein«, sagte ich. »Perry meint, hier ist es nicht so, dass man sich die Arbeit als solche aufteilt. Dass der eine nur töpfert, und der andere dafür nur Käse macht. Meistens sind dann die Töpferwaren besser und der Käse leckerer.«
»Ja? Also meine Oma hat mir das anders erzählt. Ist ein ganz altes Stubenhockermärchen. Die Geschichte vorn Tod der guten Dinge. Irgendwann, vor langer, langer Zeit, dachten die Leute, das Leben verlange ihnen zu viel ab. Ständig muss man sich um alles kümmern! Vom Morgen bis zum Abend! Wie viel einfacher wäre es doch, sagten sie, wenn man nur eine Arbeit am Hals hätte. Gesagt, getan. Nun brauchte man nicht mehr den lieben langen Tag lang alle möglichen Dinge zu machen, sondern nur noch die, die einem am meisten Freude brachten oder die man am besten, am schnellsten konnte. Zuerst wurden darum alle Dinge besser.«
Sie gestikulierte mit der Hand. »Aber dann machte den Leuten die eigene Arbeit immer weniger Freude, weil sie ständig dasselbe machen mussten. Der Töpfer haute seine Becher nur noch lustlos hin. Der Käser pfuschte seinen Käse zusammen. Und weil der Töpfer nichts mehr von gutem Käse und der Käser nichts mehr von guten Bechern verstand, merkten sie den Unterschied nicht. Und der Sohn des Töpfers lernte zu töpfern, und die Tochter des Käsers lernte Käse zu machen, und beide dachten: Herrje, ist das langweilig! Ist das umständlich! Und sie hauten ihre Becher und ihren Käse noch lustloser hin. Und wieder merkten die Käser nicht, dass die Becher schlechter geworden waren, und die Töpfer nicht, dass der Käse nicht mehr so gut war.«
Sie zog die Nase kraus. »Und so kam es, dass alle Dinge immer schlechter und schlechter und schlechter wurden, und schließlich gab es überhaupt keine guten Dinge mehr. Und von den ganzen Stubenhockern wusste nicht einer, was ihnen verloren gegangen war - nur der kleine Hauch Nomadenseele, den sie alle noch in sich trugen aus den Zeiten der großen Wanderungen, der piesackte sie mit dem Gefühl eines tiefen, umfassenden Verlustes. Darum fingen sie in der freien Zeit, wenn sie ihr Tagwerk hinter sich hatten, das so genannte Selbermachen an. Es wäre doch schön, aus einem selbst gemachten Becher zu trinken, sagte der Käser, und der Töpfer sagte: Ach, wie gern würde ich einmal selbst gemachten Käse essen! Und so kommt es, dass die Stubenhocker heute wieder von früh bis spät arbeiten, genau wie früher, genau wie wir. Nur merken sie es nicht und freuen sich auch nicht daran.«
Peikade lachte.
»Die Stubenhocker sind die Sesshaften, ja?«, fragte Pratton Allgame.
»Oh.« Peikade schlug sich eine Hand vor den Mund. »Verzeiht.«
»Ach, weißt du«, sagte ich, »eigentlich sind wir selbst halbe Nomaden. Das denken jedenfalls unsere Nachbarn. Wir ziehen ständig durchs Weltall. Perry und ich. Auch jetzt sind wir ja so weit von zu Haus entfernt, dass man diese Entfernung selbst mit dem schnellsten Raumschiff nicht überbrücken könnte.«
So spazierten wir durch die Stadt, und aus unseren Spekulationen und Peikades Geschichten entstand allmählich ein Bild der Rebellengesellschaft.
Mit einem Mal hielt vor uns ein Zontar, der vor einen Karren gespannt war. Es war ein ganz einfacher, grober Lastenkarren aus gebeiztem Holz.
Eine alte, verrunzelte Frau saß auf dem Kutschbock. Sie war in bunt gestreifte Gewänder gehüllt. Rottöne herrschten vor. Sie hatte weiße Haare und eine braune Haut wie Antiksamt. Ihr Gesicht war flach und von großer Altersschönheit, nur dass die bernsteingelben Augen weit auseinander standen und auch leicht auswärts schielten. Die Frau neigte den Kopf, als wäre sie blind und orientiere sich nach dem Gehör.
»Thura?«, sagte Peikade.
Die Alte reagierte nicht. Sie schien in tiefer Trance zu sein. Aber als sie vom Kutschbock stieg, hielt sie zielsicher auf unsere Gruppe zu - und blieb vor Perry stehen.
»Er will dich nun sehen, fremder Ankömmling«, sagte sie mit voller, warm klingender Stimme. »Steig auf. Begleite mich.«
Damit machte sie kehrt und suchte im Gras nach mehreren Steinen. Sie konnte also doch sehen. Sie kletterte wieder auf den Kutschbock, mit langsamen, aber kraftvollen, sicheren Bewegungen. Sie setzte sich. Sie schien zu warten.
»Wer ist das?«, fragte ich Peikade leise.
»Das ist sie«, sagte Peikade.
»Er«, ächzte ich.
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