PR TB 070 Die Verlorenen Des Alls
Ähnlichkeit zu Palmer festgestellt. Als Michael
darauf hinwies, sagte Palmer: „Auf ihren Gesichtern spiegelt
sich bereits jetzt die Leere des Daseins.“
„Sie sollten sie nicht voneinander trennen“, rief
Michael. Er wußte es von sich selbst, daß Einsamkeit für
Kinder am schlimmsten war. Hatte er hier die Lösung für die
Probleme dieser Fremdrasse gefunden? Aber so einfach konnte es gar
nicht sein! Palmers Antwort zeigte ihm, daß die Angelegenheit
tatsächlich viel verzwickter war.
„Wir legen den größten Wert darauf, daß
jedes Kind allein in einer Zelle ist.“
„Lassen Sie sie einmal miteinander spielen“, beharrte
Michael. „Sie sollten dann sehen, wie vergnügt sie wären.“
„Das hieße“, meinte Palmer leidenschaftslos,
„den verhängnisvollen Trieben freien Lauf zu lassen.“
Michael fröstelte. Er stellte sich vor, daß er selbst
in so einer Zelle eingesperrt wäre. Wieder fröstelte ihn.
Palmer bemerkte es. „Du mußt sehr vorsichtig sein,
wenn du Vergleiche ziehst. Ich habe dir gesagt, daß unsere
Zivilisation auf ganz anderen Fundamenten ruht. Uns befremdet es
umgekehrt auch, daß die Menschen ihren Emotionen freien Lauf
lassen. Uns erscheint es sinnlos, daß man sich den Versuchungen
des Lebens hemmungslos hingibt, nur weil man versucht, die Leere des
Daseins auszufüllen. Aber wir bemühen uns zu verstehen. Das
ist wichtig, Michael.“
„Ich bemühe mich auch“, antwortete Michael.
„Dafür sind wir dir sehr dankbar.“
Sie waren inzwischen an der letzten Zelle des „Kindergartens“
angelangt. Michael wollte daran vorbeigehen, aber als er einen
flüchtigen Blick hineinwarf, blieb er stehen. Auch hier saß
ein Kleinkind auf dem Boden, es ähnelte den anderen in allen
Details. Es gab nur einen Unterschied, und der hatte Michael
aufmerken lassen: Das Kind spielte mit Bausteinen! Lächelnd
wandte sich Michael an Palmer.
„Dieses Bild gefällt mir viel besser. Ihnen nicht
auch?“
„Mich schmerzt es zutiefst.“
„Sie könnten ihm die Bausteine wegnehmen“, sagte
Michael.
Palmer entgegnete: „Ich weiß, ein menschliches
Sprichwort sagt: ,Gelegenheit macht Diebe.’ Bei uns darf aber
selbst eine gebotene Gelegenheit nicht vom rechten Weg abbringen. Wir
überlassen dem Kind die Bausteine - wir nehmen sie ihm nicht weg
-, aber wir zeigen ihm, wie nutzlos das Spiel ist, und es wird sie
selbst von sich stoßen.“
Michael versuchte ehrlich, das zu verstehen. Aber er konnte es
nicht, ihm schwirrte nur der Kopf. Und ihm war kalt.
„Dürfen die Kinder nicht aus ihren Zellen?“
fragte er. „Müssen sie ihr Leben lang darin bleiben?“
„Nein“, antwortete Palmer. „Wenn die Erziehung
abgeschlossen ist, besteht keine Notwendigkeit mehr dazu.“
Für ganz kurze Zeit wurde Michael abgelenkt. Palmer verließ
mit ihm die Halle. Ein breites, schmuckloses Tor öffnete sich
vor ihnen automatisch, und sie traten ins Freie. Eine trostlose Ebene
breitete sich vor ihnen aus, bis zum weit entfernten Horizont. Der
Boden bestand aus unfruchtbarer Erde, in der kein Baum, kein Strauch
und kein Gras wuchs. Michael fand, daß kein Traum so eintönig
sein konnte wie diese Ebene; und in Träumen war bekanntlich
alles möglich.
„Das ist keine reale Landschaft“, erklärte
Palmer. „Wir mußten sie künstlich erschaffen. Denn
im ganzen Universum findet sich kein Ort, der die tatsächliche
Leere des Daseins widerspiegeln könnte.“
„Kein Boden, keine Luft könnte so tot sein“,
flüsterte Michael.
„Hier findet die zweite Stufe der Erziehung statt“,
sagte Palmer. „Die Kinder erhalten hier die Freiheit - haben
zueinander aber noch keinen Kontakt. Ist dieser Platz nicht geeignet,
die Trostlosigkeit der uneingeschränkten Freiheit aufzuzeigen?“
„Ja“, sagte Michael, obwohl er nicht ganz verstand.
„Bitte - bringen Sie mich fort.“
Die Landschaft wechselte augenblicklich. Es war wie bei einem
Materietransmitter, fand Michael, nur daß er sich überhaupt
nicht vom Fleck zu rühren brauchte.
Er stand in einem blühenden Garten. Das üppige Grün
tat seinen Augen gut. Er war vollkommen überrascht und wollte
seiner Verwunderung darüber, hier einen wunderschönen Park
vorzufinden, Ausdruck geben, als es ihm vollkommen die Sprache
verschlug.
Hinter einem blühenden Strauch kamen zwei Mädchen
hervorgerannt, die eine Blumengirlande hoch über ihre Köpfe
hielten. Sie jauchzten und lachten und sangen dazwischen: „Frühling
ist’s... Frühling ist’s...“
Sie
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