PR TB 070 Die Verlorenen Des Alls
nach.
Michael lief durch den Wald, vorbei an pferdegesichtigen Jungen
und Mädchen, die wie Mumien herumstanden, über eine Wiese,
einen Hang hinunter... Die Androiden-Mädchen kreuzten seinen
Weg.
„Frühling ist’s, Frühling ist’s“,
sangen sie.
Michael hatte Angst. Es war eine instinktive Angst vor der
fremden, unergründlichen Gegenwart. Er weinte haltlos. Das
verlogene Paradies verschwamm vor seinen Augen. Dann löste es
sich ganz auf - Bäume und Sträucher, Brücke und Bach
und Wasserfall verschwanden im Nichts.
„Das war nicht so gemeint, Michael“, drang Palmers
monotone Stimme von irgendwo herüber. „Wir verstehen dich,
verstehe du uns bitte auch. Vielleicht kannst du uns helfen.“
„Wie kann ich das?“ schrie Michael und schlug um sich.
„Wie? Sie haben Andy verschleppt! Andy!“
Und er rannte und rannte und rannte... durch das nicht
endenwollende Nichts...
Endlich bekam er die Augen auf.
Wilma Sarlaya drückte ihn zurück in das Kissen.
„Schon gut, Michael“, murmelte sie zärtlich.
„Beruhige dich wieder. Es war nur ein Traum. Du hast schlecht
geträumt.“
Er schluchzte trocken. Als er seine Arme ungestüm um ihren
Hals schlang, preßte sie ihn fest an sich. So hielt sie ihn,
bis er eingeschlafen war.
9.
Wilma Sarlaya wußte, daß Michael nicht geträumt
hatte. Er war mit Bräuchen einer fremden Kultur in Berührung
gekommen und hatte einen Schock erlitten. Armer Junge. Sie wischte
ihm die heiße Stirn ab. Dann erhob sie sich und ging zu der
einzigen Tür des kleinen, fensterlosen Raumes und öffnete
sie. Bodenlose Schwärze schlug ihr entgegen.
Sie wußte, daß es sich nur um eine optische Täuschung
handelte, denn als sie von Palmer 3457 in Michaels Zimmer geholt
worden war, hatte sich ein Korridor hier befunden. Nichts, was ihre
Augen wahrnahmen, war real, nicht das Bett, in dem Michael lag, nicht
der Raum und auch nicht die Tür. Palmer 3457 war kein Mensch -
er hatte es ihr selbst gesagt. Was bezweckten die Fremdwesen mit
Michaels und ihrer Entführung?
Einen Augenblick lang war sie unentschlossen, was sie tun sollte,
aber dann kehrte sie zurück in das Krankenzimmer. Michael
schlief. Er hatte sich beruhigt, sein Atem ging leise und regelmäßig.
Wilma setzte sich zu ihm aufs Bett. Sie würde hierbleiben, egal
was um sie herum geschah. Michael brauchte ihre Hilfe.
Sie überlegte sich gerade, welche Psychotherapie sie gegen
seinen Schock anwenden wollte -da öffnete sich die Tür fast
lautlos, und Palmer trat herein.
Wilma sah ihm stumm entgegen.
Seine Augen waren traurig - wie immer -, und als er sprach,
bewegten sich nur seine Lippen. Wie bei einem Androiden, dem man eine
Persönlichkeit einzugeben vergessen hat, dachte Wilma.
„Wie geht es Ihnen, Madam?“ fragte er.
Die Frage nach ihrem Wohlbefinden überraschte sie derart, daß
sie antwortete: „Danke, gut.“ „Das freut mich“,
sagte Palmer. „Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten.“
„Hier?“
„Wo Sie es wünschen.“
„Dann möchte ich die Hauptzentrale der Ex-EZI l als
Verhandlungsort vorschlagen.“
Palmers Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. „Das
geht leider nicht“, sagte er. „Wir müssen innerhalb
der Räumlichkeiten unseres Raumschiffes bleiben.“
Also befanden sie sich auf einem Raumschiff! Obwohl sie daran noch
nicht gedacht hatte, war sie nicht verwundert.
„Wir sind also Ihre Gefangenen“, stellte Wilma fest.
„Sie nehmen gewissermaßen eine Sonderstellung ein. Wir
brauchen Ihre Hilfe und möchten Sie bitten, so lange zu bleiben,
bis Sie uns diese Hilfe gewährt oder es zumindest versucht
haben. Ihnen soll weder ein körperliches noch ein geistiges
Unbehagen daraus entstehen.“ Wilma deutete auf Michael. „Dem
Jungen ist aber bereits Schaden zugefügt worden.“
„Das tut uns leid.“
„Ihre Stimme straft die Worte Lügen.“
„Sie sind doch Psychologe, Dr. Sarlaya“, entgegnete
Palmer, „deshalb nehme ich an, daß Sie auch etwas von
Völkerpsychologie verstehen. Wir haben zwar die menschliche
Verhaltensweise studiert und zu verstehen versucht, aber unsere
andersgeartete Kultur macht uns die Anpassung schwer. Wir bedauern
zutiefst, daß uns dieses Mißgeschick mit dem
Jungen widerfahren ist.“
„Entschuldigen Sie“, sagte Wilma, „die
Verbitterung hat mein Denken beeinflußt. Natürlich können
Sie nicht aus Ihrem Kulturschema ausbrechen. Ich frage mich nur,
warum Sie Michael entführt haben. Er ist doch noch ein Kind. Wie
könnte er Ihnen
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