PR TB 086 Feldzug Der Morder
der Rippen zwischen Magen und Schlüsselbein
unter der Haut lag. Patricia sagte langsam:
»Du bist nicht nur ein Prinz. Du bist ein Magier, ein Denker
und ein Mann, der über viele andere Fähigkeiten verfügt.
Wer bist du wirklich, Atlan?«
Ich wickelte ihr langes, schwarzes Haar um meine Hand, zog sie zu
mir herab und sah in ihre grünen Augen.
»Ich bin, wenn ich einmal von hier verschwunden sein werde,
eine Legende, an die niemand glauben wird«, sagte ich. »Frage
nicht. Ich werde dir alles erklären, wenn die Zeit dazu reif
ist.«
Ein rauschendes, pfeifendes Geräusch unterbrach uns. Das
Mädchen zuckte zusammen und hob den Kopf. Ein Schatten huschte
heran, streifte mit den Schwungfedern der ausgebreiteten Schwingen
die Vorhänge und ließ sich zwischen das Feuer und uns
fallen. Der Sukhr war es, mein schweigender, fliegender Beobachter.
»Du hast etwas gesehen?« fragte ich.
Der Vogel antwortete in seinen kehligen, fauchenden Lauten.
»Ein Reiter, verwundet. Er kommt hierher, vielleicht stirbt
er hier. Er kommt von Süden. Vielleicht ein Bote, der überfallen
wurde.«
Ich fragte, plötzlich alarmiert:
»Wie weit entfernt?«
»Eine Stunde. Sehr schwach, nur zwei Pferde.«
»Ein Hunne?«
»Ein Hunne«, sagte der Vogel. »Verwundet und
blutend. Es ist so, als brauche er Hilfe.«
»Zurück! Weiter beobachten. Notfalls hierher schleppen,
ja?« sagte ich scharf.
»Verstanden!«
Der Vogel hüpfte ungelenk davon, stieß sich ab und
breitete die Schwingen aus. Dann schoß er schräg aufwärts
und das Rauschen seiner Flügel verklang in der Nacht. Patricia
faßte mich bei den Schultern und sagte leise:
»Vielleicht ein Kurier. Was wirst du tun?«
Sofort helfen! Eingreifen! Selbständig etwas unternehmen!
rief mein Extrasinn.
Ich zuckte die Schultern und murmelte:
»Ich weiß es noch nicht. Wenn er Hilfe braucht, dann
werde ich ihm natürlich helfen. Vielleicht sollte ich
hinüberreiten ins Lager und die. Krieger wecken.«
Sie lächelte und sagte dann:
»Einige Reiter sind hier bei den Sklavinnen. Sie werden
alles ebenso schnell erfahren wie du.«
Es war ein sonderbarer Augenblick. Patricia warf plötzlich
ihre lässige Ruhe, die scheinbare Distanz zu allem, was sie
erlebt und gesehen hatte, ab. Sie schaute mich mit sehnsüchtiger
Zärtlichkeit an, als habe sie begriffen, daß sie in meiner
Person die einzige Verbindung zu ihrer Erinnerung, ihrer
Vergangenheit hatte. Die menschliche Seele scheint sich in gewissen
Augenblicken tatsächlich offen zu zeigen; die Maske fällt
ab wie ein Stück morsche Rinde. Patricia war jetzt weder kühl
und ohne Anteilnahme, weder berechnend noch fremd - sie war nur noch
verzweifelt, müde und sehnsuchtsvoll. Ich legte meine Arme um
ihre Schultern und zog sie langsam an mich. Sie fing meinen Blick
auf; ihre Augen wurden zärtlich. Patricia sagte leise:
»Ich ahne, daß diese Nacht alles entscheiden wird.
Bleibe noch bei mir, Atlan.«
Ich nickte schweigend und küßte sie.
Als wir später den unregelmäßigen, bockigen Galopp
der beiden zu Tode erschöpften Pferde hörten, hatten wir
die Kelche geleert. Wir standen auf den kalten Steinen der Terrasse.
Einige Männer kamen mit Fackeln aus dem Haus, und in meiner Nähe
sah ich den Schatten des stets wachsamen Shass.
»Er kommt«, sagte Patricia. Sie lehnte sich schwer und
müde an mich.
Ich hielt eine erloschene Fackel hoch, ging zurück in den
Schlafraum und steckte das Ende der Fackel in die Glut. Mit der
brennenden Magnesiumfackel kehrte ich zurück und sah gerade den
reitenden Boten zwischen den massiven Pfosten auftauchen. Er lag
schwer auf dem Hals des Tieres, das keuchend und schäumend auf
uns zustolperte. Jetzt befand sich bereits ein Dutzend Menschen im
Hof und liefen auf den Reiter zu. Ich schwang mich hinunter und
rannte geradeaus.
»Herr. wir sind in Not.«, stammelte der Mann.
Er glitt langsam aus dem Sattel, beziehungsweise vom Rücken
des Pferdes hinunter. Beide Tiere waren zuschanden geritten. Wir
fingen ihn auf und legten ihn flach auf den Boden. Sein Gesicht war
mit Schlamm bespritzt und blutverkrustet. Quer über seine Stirn
zog sich eine tiefe Wunde. Der Mann war halb bewußtlos. Das
zweite Pferd fiel plötzlich mit einem keuchenden Wiehern um,
schlug mehrmals aus, zuckte zusammen und verendete.
»Woher kommst du?« fragte ich und beugte mich über
den Mann. Er atmete tief und verzog das Gesicht. Als wir ihn näher
untersuchen wollten, sahen wir einen abgebrochenen Pfeil unterhalb
der
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