PR TB 095 Die Spur Des Gehetzten
sein
mochte. Ich hob die Schultern und sagte eindringlich:
»Wie lange hast du diesen Zierat schon?«
»Vier Jahre.«
Hilf ihm! sagte der Extrasinn. Du kannst kaum einen besseren
Verbündeten finden!
Ich hatte eigentlich nur aus Mitleid handeln wollen, jetzt wußte
ich, daß zwei Freunde oder Verbündete besser waren als
einer. Dieser Mann kannte die Stadt und alles, was in ihr vorging,
wie kein zweiter. Wenn ich ihn mir verpflichtete, konnte ich
nötigenfalls alles mögliche erreichen. Niemand wußte,
ob ich Armagnac brauchen würde ... ich entschloß mich
schnell und zog ihn zurück in das Halbdunkel der Werkstatt.
»Ich werde dir nicht ein einziges kleines Goldstück
geben, Vater der Beutelschneider«, sagte ich. »Denn ich
bin Spanier. Aber ich werde dich in einer Woche von deinem Leiden
heilen.«
Er wich langsam zurück, wurde unter seiner Schmutzschicht
bleich und würgte hervor:
»Das kannst du ... das würdest du tun?«
»Ich kann es, und ich werde es tun. Komme in zwei Stunden
wieder und bringe ein Mädchen mit, das dich nach meinen
Anweisungen pflegen kann. Wir brauchen dazu nicht länger als
eine Woche.«
Er nickte verwirrt und rannte hinaus. Seinen Freund ließ er
liegen.
Die nächsten sechs Tage vergingen sehr schnell. Wir räumten
eine kleine Kammer aus; badeten Armagnac in einem Riesenzuber, dessen
warmes Wasser ich mit medizinischen Zusätzen vermischt hatte.
Dann handelte das Mädchen nach meinen Anweisungen die Haut des
:Mannes quadratzentimeterweise mit meinen zuverlässigen
Medikamenten, und wieder verblüffte mich die Wirkung meines
Zellaktivators. Ich wollte heilen und helfen und das wunderbare Gerät
schien es zu »spüren«. Nach Ablauf der sechs Tage
war Armagnac geheilt. Sein ganzer Körper war mit einer rosigen,
neuen Haut überzogen, in der sich nur wenige kleine Narben
befanden. Zwei Massagen mit einem medizinischen Öl machten, daß
er wieder Kleidung tragen konnte. Er wollte vor mir auf den Boden
fallen, aber ich wehrt ab.
»Vielleicht brauche ich einen Freund. Vielleicht wirst du
oder wird jemand aus deiner Schar von
Galgenstricken mir helfen können. Erinnere dich dann an mich,
ja?«
Er erklärte feierlich:
»Ich werde dies nicht vergessen, so lange ich lebe.«
Hoffentlich lebte er lange; ich wünschte es ihm. Als ich ihm
nachsah, wie er die Werkstatt verließ und in die Gasse der
Feinschmiede hinausging, bemerkte ich zweierlei. Eine Menge von
Menschen allen Alters, in fast allen Stufen der Verwahrlosung. Sie
warteten auf Armagnac und begrüßten ihn, als sei er aus
der Fremde heimgekehrt. Gleichzeitig ritt der bewaffnete Trupp ein,
der den falschen Kurier oder Gesandten beschützt hatte. Der
Fremde war in der Stadt.
Sein Gesicht sah aus, als wäre es für das schlechte
Wetter der letzten Woche verantwortlich. Als ich eine Stunde später
versuchte, mit dem Falken zu korrespondieren, bekam ich keinen
Kontakt. Der Mechanismus ist ausgefallen, sagte der Extrasinn
.lakonisch.
*
Überall gab es Bettler, Strauchdiebe, Kandidaten für
Henker und Galgen. Ihre Augen und ihre schnellen Finger waren
überall. Auch ihre Ohren. Aber selbst die schärfsten Augen
konnten nicht hören, wenn zwei Männer miteinander
flüsterten. Nach und nach rundete sich das Bild ab das Armagnac
erfuhr - alle Fäden liefen bei ihm zusammen, irgendwo, in
dunklen Winkeln von Paris, in dem die Männer des Hauses Valois
regierten.
Der Profos des Stadtgerichtes erhielt Besuch.
Der Besuch meldete sich an; er sei ein Spanier und hieße
Jorge Aragon de Cardenas. Er reise in geheimer Mission, werde
verfolgt und habe eine Botschaft an einen Mann, der offiziell auf
englischer Seite kämpfte, aber im Bunde mit Frankreich stünde.
Was die Ohren der Bettler nicht hörten, was niemand wissen
konnte, war:
Am drittletzten Tag seiner Reise fütterte Jagellon oder de
Cardenas den prächtigen Falken, der wieder versuchte, ihn in den
Finger zu beißen. Cardenas lachte und sah zu, wie das Tier die
Fleischbrocken kröpfte. Dann, nach der kurzen Pause, ritt der
Zug weiter, um den langen Transport der Kaufleute samt ihrer Wagen
nicht allein zu lassen. Einen halben Tag später merkte Cardenas,
der den Falken fast ständig am Unterarm getragen hatte, daß
das Tier einen durchdringenden Geruch nach Aas, nach Verwesung
verströmte. Er wußte nicht sehr viel über Jagdfalken,
aber er wußte genau, daß ein Tier dieser Art niemals nach
Verwesung stinken sollte. Jorge Aragon de Cardenas nahm seinen großen
Dolch mit dem
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