PR TB 130 Insel Der Bewährung
fallen, Yantro!" schrie das Mädchen, als
sie über einen Felsen hechteten, der quer vor dem Ausgang lag.
Unter den Sohlen splitterten und brachen die Knöchelchen von
winzigen Skeletten. Dann blendete sie das Sonnenlicht. Mit einigen
Sätzen gewannen sie das Freie und liefen bis zu einer Felsnadel
weiter. „Eine Höhle voller wütender Vögel. Und
ausgerechnet dort installieren sie den Gegentransmitter!"
stellte Yantro erbittert fest. An den Stellen, an denen weder
Handschuhe noch Armschutz, weder Visier noch Brustpanzer die Haut
schützten, war sie voller winziger Stiche und kleinster Wunden.
Yantro atmete tief durch. „Das Maschinenorakel der Kretina
versprach uns sehr viel Abwechslung. Das war der erste von vielen
Schlägen."
„Zugegeben. Und welche Richtung schlagen wir ein?"
Sie hatten keine Möglichkeit, sich zu reinigen und zu
erfrischen, also ließen sie das Blut in der Morgensonne
trocknen.
„Wir sind zweifellos auf der Fünften Insel", sagte
Yantro. „Nach der kurzen Vorschau kämejetzt eine Anlage in
Sicht, die wie eine Abtei aussieht, wie ein altes Kloster mit guten
Weinen und dicken Mönchen."
„Hier, auf dieser Felsenbrücke?" fragte Ariete
spöttisch.
„Nein. An deren Ende."
Von der Höhle führte ein breiter Grat weg, der an seiner
Spitze abgeflacht war. Ein meterbreiter Weg schlängelte sich
zwischen Felstürmen und Krüppelpflanzen dahin. Er verlor
sich etwa zweihundert Meter weiter nördlich in einem
zerklüfteten Felsmassiv.
Als sie zehn Meter gegangen waren, flatterte ihnen aufgeregt ein
Vogel entgegen, etwa von der Größe einer irdischen Taube.
Er war strahlend weiß mit orangefarbenen Flügelspitzen und
einem ebensolchen Schnabel. Im Schnabel des Tieres stak ein kleiner
grüner Zweig, um dessen Ende etwas Weißes flatterte.
Ohnejede Scheu kam das Tier näher, flatterte dreimal um Yantros
Kopf und landete auf Arietes Schulter. Yantro machte einen Schritt
und streckte die Hand aus. Der Vogel ließ den grünen Zweig
in die Handfläche fallen und begann, eine jubilierende Tonfolge
zu schmettern. ,
„Ein Friedenszweig, leicht angedorrt!" sagte Addaura
und entrollte das Papier. „Mit einer Botschaft. Ich lese vor:
Seine Kostbarkeit, Prior Vinea Craychgouer, lädt die Ankömmlinge
zu gutem Gespräch, klugen Büchern, erlesenen Weinen und
einer flüchtigen Untersuchung in das Haus der Ruhe ein. Folgt
dem Weg, auf dem ihr euch befindet; er wird euch ans Ziel bringen. In
aspetto: Vinea."
Der Vogel sang einen letzten Triller und schwang sich von Arietes
Schulter. „Wohlan, Gefährtin, folge mir!" sagte
Yantro und grinste. „Zur Priorei, oder wie es heißt."
Sie tasteten sich den gefährlichen Pfad entlang und merkten
nach weiteren fünfzig Schritten, daß sie ungesichert auf
dem Grat zwischen zwei Abgründen voller Schluchten und winziger
Bergseen, kleinen Gießbächen und Spielzeugbäumen
dahinliefen. Schließlich erreichten sie, wobei sie mehrmals
Gefahr liefen, abzustürzen, das Felsmassiv und entdeckten den
schmalen Paß. Als sie die kühlen Felsen hinter sich
gebracht hatten, sahen sie unter sich das dreifach U-förmig
ineinander verschachtelte Gebäude mit dem roten Ziegeldach. Der
Weg führte durch die kleinen Hügel eines langgeschwungenen
Abhangs und konnte nicht länger dauern als eine Stunde.
„Wäre es Winter, würde uns eine Lawine
heimsuchen!" bemerkte Yantro später, als sie sich an einer
kleinen Quelle reinigten.
„Da es Sommer ist, wird eine Steinlawine nicht lange auf
sich warten lassen", stellte Ariete fest.
Sie kamen nach knapp einer Stunde an bebaute Felder, in
Terrassenbauweise angelegt und von einem einfachen, aber raffiniert
errichteten System bewässert. Aus dem steinigen Weg wurde eine
Holztreppe, aus der Treppe ein Plattenweg, der breiter wurde,je mehr
Abzweigungen in ihn mündeten. Kurz darauf standen sie an einem
Wehrturm mit eisenbeschlagenem Tor und ebensolchen Fensterläden.
Die Hausmauer und die weitergeführte Mauer mit Schießscharten
und einem Wehrgang dahinter machte einen trutzigen Eindruck. Yantro
zog an einem Handgriff, der neben dem Schlagladen des Pförtners
angebracht war.
Weit entfernt dröhnte eine Orgelkadenz auf.
Das Fenster'schwang auf.
„Wer da? Habt ihr Zeugnis?"
Ariete lächelte in das asketische Gesicht eines bärtigen
Mannes und schwenkte den Zweig mit der Botschaft daran.
„Ich sehe, ihr seid angemeldet. Bitte, geht durch die kleine
Tür!"
In dem breiten Portal schob sich knirschend eine kleine Öffnung
zurück.
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