PR TB 149 Die Grosse Flut
Nisobar und ich waren in gehämmertes Kupfer, in Elektrum
und Bronze gekleidet und wirkten wie gleißende Roboter.
Während uns die Bürger Ninives nachblickten, als wir
über das ständig steigende, schlammige Wasser an der Barke
Nisobars und den wenigen Flussbooten vorbei südwärts
trieben, geschah etwas, das sich gleichermaßen unserer
Beobachtung wie auch der Einwirkung entzog.
Weit im Norden, auf den Gipfeln der Berge, begannen die mächtigen
Schneedecken zu schmelzen. Die Hitzewelle, die über das Land
zog, dazu heiße Fallwinde, beschleunigten den Vorgang, der
sonst weitaus langsamer vonstatten ging, über Wochen und Monate
verteilt.
Buranun und Idiglat, die gerade die Wassermassen der langen
Regentage in die Lagune, die Moore und den Ozean ableiteten,
schwollen abermals an. Zuerst nur im Bereich der Berge und Berghänge,
aber diel Flutwelle wälzte sich langsam nach Süden. Als wir
außerhalb’ der Sicht des letzten Dammes von Ninive l
schneller wurden und den Gleiter aufsteigen ließen, verfolgte
uns die Welle bereits. Aber wir ahnten nichts davon, wir
konzentrierten uns auf das Heer, das sich gerade an der Linie befand,
wo es nach Nordosten abbiegen und Richtung auf Ninive nehmen würde.
Nisobar deutete, die Hand schützend über den Augen, auf
das Bild des kleinen Schirmes.
„Wenn auch nur die Hälfte von diesem gewaltigen Haufen
Ninive erreicht, ist die Stadt verloren!“
Wir schwebten in großer Höhe. Erst jetzt erkannten wir
in der zitternden, dampfenden Luft die Größe und die
Gefahr, die dieser ameisenähnliche Zug ausstrahlte’.
Allein dieses Bild genügte, um uns erschrecken zu lassen. Unser
Ziel war nicht die Masse des Heeres, sondern die Vernichtung von zwei
einzelnen Personen.
„Ninive geht vielleicht durch die großen Wasser
verloren“, beschwor ich den gewaltigen Krieger, der neben mir
vor Aktivität zitterte, „aber nicht durch J Enlil und An.“
„Du meinst, in diesem Jahr wird die Überflutung
gewaltiger?“
Ich hielt den Gleiter an. Weit vor uns, fast unsichtbar und immer
wieder in den Schlieren der wasserdampfgesättigten Luft
unsichtbar, schwebte der silberne Vogel. Es war genau Mittag, die
Sonne hatte ihren höchsten Stand in diesem Frühjahr
erreicht. Und schräg vor uns sahen wir, wie sich der Zug zu
teilen begann. Die Ähnlichkeit mit kupferfarbenen Ameisen war
keine bloße Metapher meines angespannten Verstandes, sondern
ein augenfälliger Eindruck. Ich wandte zuerst meinen Kopf und
sah nach Norden.
„Die beiden Flüsse, Shargal“, erklärte ich,
„haben kein eigentliches Quellgebiet. Die große Menge des
Wassers stammt von schmelzendem Schnee.“
Irgendwann hätte ich versucht, ihn in die geheimnisvolle
Verwandlung von Wasser in mehrere Aggregatzustände einzuweihen.
Weitestgehend vergeblich, aber er begriff, dass Wasser in großer
Kälte gefror und das Eis in der Hitze wieder schmolz.
„Du glaubst, dass es eine ganz große, vielleicht
tödliche Überschwemmung gibt, Atlan?“
Ich wich aus. Ich besaß nicht genügend Informationen,
aber dieser Umstand konnte eintreten.
„Möglich. Wir können uns in jedem Fall retten,
denn wir sind wie der furchtbare Vogel.“
„Ich verstehe. Das Heer - es geht zu Fuß.“
„Richtig. Und auch die Stadtgötter reiten auf ihren
Halbeseln.“
Vielleicht half uns die Natur. Jedenfalls sah ich dort, wo in
weiter Ferne die Berge sein mussten, nichts anderes als stechende
Sonnenstrahlen, brodelnde Luft und riesige Gewittertürme aus
schneeweißen Wolken und darunter eine Nebelwand, die ständig
näher kam.
„Wann greifen wir an?“
„Wenn wir die beiden Götter einzeln treffen können.
Das Heer teilt sich. Vielleicht heißen die Ziele Mari und
Ninive, vielleicht auch nicht. Aber ich glaube, dass An einen Teil
und Enlil den anderen anführen wird.“
Er spähte nach vorn und betrachtete mit nervöser
Gespanntheit die Vorgänge auf dem Bildschirm. Deutlich war zu
erkennen, dass die Spitzen der beiden Heeresteile sich in zwei
Richtungen bewegten.
„Dies glaube ich nunmehr auch, Enki Atlan, Zerstörer
der Heere, gewaltiger Brecher der Macht!“
Er grinste mich mit gelben Zähnen an. Wir kannten einander;
es gab keine Geheimnisse zwischen uns, und er wusste, dass ich ein
unbarmherziger Kämpfer, aber kein Gott war. Vieles begriff er
nicht.
Aber eines begriff er: wir mussten siegen. Von uns hing nicht nur
das Schicksal Ninives und Maris ab, sondern viel mehr. Ich begann zu
ahnen, dass die steigenden Wasser uns helfen
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