PR TB 149 Die Grosse Flut
sie.“
Shargal Nisobar, der trotz meiner schwindenden Erinnerung Kharg
mit anderen Augen sah, wandte ein:
„Aber alles das, was wir sahen, hilft auch dem Volk. Es gibt
keine Seuchen mehr in Ur, seit sie diese unsichtbaren Kanäle
gezogen haben wie hier in Ninive. Dies ist nur ein Beispiel,
Herrscher Kharg.“
„Ich weiß! Aber seht nur diesen wimmelnden
Ameisenhaufen rund um Ur. Es drängt förmlich nach außen,
es entwickelt sich auf eine Explosion hin. Ich schwöre es euch,
dass sie nach den Wintermonden losschlagen. Und ihr Ziel ist entweder
Mari oder, was wahrscheinlicher ist, Ninive.“
Es hatte sich so abgespielt, wie es geplant war. Tausende von
Nomaden waren ins Land eingefallen. Sie brachten alles mit, was sie
besaßen. Ein großer Teil schob sich zwischen Ur und
Ninive an die Flussufer. Es gab auch viele erbitterte Kämpfe
zwischen der eingesessenen Bevölkerung und den Ankömmlingen,
und in vielen Fällen mussten An und Enlil kleine Truppenverbände
an diese oder jene Stelle werfen, um die Eindringlinge
zurückzutreiben, wenn sie sich
nicht friedlich fügten. Dies hatte zwar den Erfolg, dass
viele Soldaten ständig in Kämpfe verwickelt waren, aber
gleichzeitig war es für sie eine Übung, eine Probe auf den
Ernstfall, ein Erproben der Waffen und der menschlichen Kräfte,
der Kampftechniken und einer in rohen Umrissen erkennbaren Strategie.
In diesem Jahr, das uns endlos erschien, versuchten Alyeshka und
ich, aus der wachsenden Siedlung Ninive so etwas wie eine Stadt zu
machen. Aber das Vorhaben fand seine natürlichen Grenzen bei der
zu geringen Zahl der Menschen, die zu besonderen Arbeiten
herangezogen werden konnten.
Wir ließen Bäume pflanzen, wir trieben regen Handel mit
den verschiedenen Karawanen, wir pflanzten Weinreben, und die
schweren Ochsengespanne rissen den Boden für neue Aussaaten auf,
als der erste Regen die Scholle aufweichte. Die Herden vermehrten
sich, die Bevölkerung hatte Nahrung im Überfluss. Wir
legten einen Turm an, der aus gebrannten Ziegeln bestand, einen
kleinen Kornspeicher, aber für eine Massenerzeugung von
gebrannten Ziegeln gab es noch - nicht Brennmaterial genug. Das
Sexagesimal System, das Enlil und An eingeführt hatten, erwies
sich als brauchbar und praktikabel, und es wäre sinnlos gewesen,
es ändern zu wollen. Die Dämme Ninives wurden höher
und länger, und mehr und mehr Pflanzen wuchsen auf ihnen. Auch
die Kanäle wurden von Tag zu Tag weiter ins unbebaute und urbar
gemachte Land hineingegraben. An jeder sich bietenden Stelle, in
Senken und natürlichen Tälern, bauten wir Auffangbecken.
Oft versammelten sich im großen Haus, im Egal Ninives, die
Aufseher und die wichtigen Frauen und Männer der Stadt. Wir
entwickelten innerhalb der bescheidenen technischen Möglichkeit
Verfahren zur Metallbearbeitung, ich lehrte sie einige Besonderheiten
in der Verwendung des Quaders als Bauelement, wir entwickelten einen
Plan, die Stadt als Knotenpunkt und Markplatz wichtiger zu machen und
zugleich in Verbindung zu bringen mit anderen Orten und Stämmen
jenseits der Berge. Viele einzelne Dinge gelangen, andere waren
undurchführbar.
Und immer wieder beobachteten wir Ur. Das mächtige Ur. Es
schien zu schlafen und Atem zu holen für einen gigantischen
Eroberungszug. In der mächtigen Stadt hatte sich inzwischen eine
klare, hierarchische Ordnung ergeben. Jeder Mensch kannte seinen
Platz. Die Struktur war die einer Pyramide; an ihrer Spitze standen
Enlil und An, darunter kamen Siegelbewahrer, die späteren
Priester, die Krieger, eine Art Beamtentum, dann die Handwerker,
Händler, Bauern und am Ende die Sklaven. Einerseits befriedigte
diese Schichtung, aus der es nur wenige Ausbruchsmöglichkeiten
gab, die Sehnsucht der Menschen nach einem festen Platz innerhalb der
Gesellschaft, andererseits schuf sie ein starres System, das letzten
Endes eine schnelle Entwicklung verhinderte.
Jedenfalls füllte sich das Land zwischen und an den Strömen
und deren Nebenflüssen mit Menschen. Mit Einwanderern aus allen
Richtungen der Windrose. Fremde Dialekte, fremde Sitten, abstoßende
Bräuche und absonderliche Gedanken, Sagen, die Namen fremder
Götter und Bezeichnungen für Naturgewalten, dies alles und
viel mehr strömte in dieses Land ein.
Es war wie das letzte, entschlossene Aufbäumen einer Geburt.
In absehbarer Zeit würde hier eine gewaltige Kultur entstehen.
Die Bausteine lagen bereit. Jemand, der die Zeit zur Verfügung
hatte, der ein Wesen der Ewigkeit war, ES also,
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