PR TB 203 Rote Sonne Uber Rubin
Naivität
zuschrieb, wuchs sein Unbehagen. Bienenhamster waren äußerst
furchtsame und scheue Tiere, die auf die Nähe eines Menschen
normalerweise mit sofortiger Flucht reagierten. Gewöhnlich
nahmen sie nicht einmal Futter an, das man ihnen auf reglos
ausgestreckter Hand anbot. Daß sich eines dieser Tiere
aufnehmen und streicheln ließ, hatte der Forscher bislang für
gänzlich unmöglich gehalten.
Die Frage begann ihn zu beschäftigen, welcher Umstand seine
Tochter befähigte, dem kleinen Tier offenbar jegliche
instinktgeleitete Furcht zu nehmen.
Als sie das Haus betraten, begrüßte Heyko seine Frau
nur flüchtig.
»Hast du gesehen, wie Susan mit dem Hamster spielte?«
fragte er, während das Mädchen eilig ins Speisezimmer lief.
»Mit einem Hamster?« wiederholte Marina ungläubig.
»Das ist nicht möglich.«
»Ich habe es gesehen. Das Tier hatte jede Scheu verloren.«
Wenn Heyko geglaubt hatte, in Marina eine interessierte
Gesprächspartnerin zu finden, sah er sich getäuscht. Sie
war momentan nicht in der Stimmung, irgendwelche Ahnungen mit ihrem
Mann zu erörtern.
»Wir können nach dem Essen darüber sprechen«,
sagte sie und ging zum Fenster des Speiseraums, um Susan an den Tisch
zu holen. Das Mädchen starrte wie gebannt nach draußen und
schien etwas zu beobachten.
Wie angewurzelt blieb Marina stehen, als sie spürte -
unterschwellig, eher unbewußt, aber deutlich -, daß ihre
Tochter Freundlichkeit verströmte. Es ist Einbildung, sagte sie
sich und ging weiter. Sofort verflog der Eindruck. Ihr Blick fiel
nach draußen.
Da saß das Tier. Auf der mit hellen Steinplatten ausgelegten
Einfassung eines Blumenbeets war es deutlich zu erkennen. Es hatte
sich auf den Hinterbeinchen ausgerichtet und die Fühler nach
oben gereckt. Die kleine, feuchte Schnauze ruckte witternd auf und
ab.
»Da siehst du es«, sagte Heyko, der hinzugetreten war
und die Szene ebenfalls beobachtete.
Marina wagte nicht, sich zu rühren. Sie sah ihre Tochter, die
mit verklärtem Blick ihren Spielgefährten musterte, sah den
Bienenhamster, der dort unten zitternd die Aura kindlicher Zuneigung
in sich aufsog. Sie wußte nicht, wie sie es anders hätte
beschreiben sollen. Die Ahnung eines bedeutungsvollen Vorgangs
schlich sich immer deutlicher in ihr Bewußtsein.
Welcher Art war diese Beziehung? War es einfach die Zuneigung
eines fünfjährigen Mädchens zu einem kleinen,
possierlichen Tier? Oder war es mehr - der Beginn einer Entwicklung
vielleicht, die bald wie eine Sturmflut die rubinsche Menschheit
überrollen würde.?
Später, als Susan längst zu Bett gebracht worden war und
friedlich schlief, saß Marina noch in einem Sessel und las im
milchigen Schein einer Lampe ein Buch. Die merkwürdigen Gedanken
und Empfindungen, die sie vorhin befallen hatten, waren bereits
vergessen und verdrängt. Sicher gab es eine natürliche
Erklärung für alles.
Allein Heyko wollte sich mit solch lapidaren Einsichten nicht
zufriedengeben. Stundenlang saß er beinahe reglos da und
fixierte nachdenklich nicht vorhandene Bezugspunkte.
»Was ist los mit dir?« fragte Marina, der das
Verhalten ihres Mannes mit der Zeit immer weniger gefiel. »Hast
du es immer noch nicht verdaut, daß es auch zahme Bienenhamster
geben mag?«
Unwillig schüttelte Heyko den Kopf.
»Ich hatte heute eine längere Unterredung mit Francis«,
sagte er leise, »die mir nicht aus dem Kopf geht. Und ich werde
den Verdacht nicht los, daß Susans Verhalten damit
zusammenhängt.«
Marina legte das Buch zur Seite und musterte ihren Mann
aufmerksam.
»Worum ging es bei dem Gespräch?«
Er machte eine unsichere Handbewegung. »Francis und seine
Leute haben herausgefunden, daß es Mutanten auf dieser Welt
gibt.«
DIE ZWEITE GENERATION
Tor zur Unterwelt
Die Natur hatte sich fast schlagartig beruhigt, nur das
verzehrende Feuer des wieder ausgebrochenen Vulkans leuchtete
gespenstisch am südlichen Himmel. Mit den ersten Strahlen der
aufgehenden Sonne vermischte sich das gelbrote Glühen zu einer
optischen Symphonie der Apokalypse und der Vernichtung.
Mit kniehohen Gummistiefeln bewehrt, stieg Susan LaVern über
einige Trümmer hinweg, Reste einer zerbrochenen Statue, die der
Sturm mit elementarer Wucht von ihrem Podest gefegt hatte.
Knöcheltief versank die Frau in den Wassermassen, die rauschend
durch die Straßen quollen und gurgelnd in die Abflüsse
strömten. Die Kanalisation war kaum noch in der Lage, die
niedergegangenen Regenmengen aufzufangen und in kontrollierte
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