PR TB 203 Rote Sonne Uber Rubin
Euphorie
hingegeben. Hatte damals überhaupt jemand an kommende
Generationen gedacht? Hatte jemals einer überlegt, daß die
Idylle dieser Welt eines Tages zerstört werden könnte?
Hatte niemand erkannt, daß der Weg, der damals eingeschlagen
worden war, unversehens in die Stagnation und die Degeneration führen
konnte? Daß die Verneinung jedes weiteren Fortschritts und das
Festhalten am Status quo auf die Dauer nur Rückschritt
bedeutete?
All diese Gedanken ließen den Forscher nicht mehr los, auch
nicht, als er sich inmitten einer Traube von Menschen in einen Wagen
der Schwebebahn zwängte. Er suchte Ablenkung, indem er einigen
der leise geführten Gespräche zuhörte. Die
Unterhaltungen drehten sich um Belanglosigkeiten, meistens um Themen
aus dem beruflichen Bereich, und immer deutlicher wurde Heyko bewußt,
wie sorglos die Siedler in den Tag hineinlebten. Sie fühlten
sich auf Rubin, ihrem Edelstein abseits der turbulenten Vorgänge
in der Galaxis, absolut sicher und geborgen. Die Parazone mit ihren
psychischen Sperren lag in weiter Entfernung und wurde kaum als
Bedrohung angesehen, die ständigen Versuche der
wissenschaftlichen Erforschung wurden mit nicht mehr als
wohlwollendem Interesse verfolgt. Und den Hyperausbruch der Sonne,
der seinerzeit so große Zerstörungen angerichtet hatte,
sah man als einen Vorgang an, der sich nicht wiederholen würde.
Die Regierung, die mögliche Gefahren vermutlich realistischer
einschätzte, tat verständlicherweise nichts, was Unruhe
unter der Bevölkerung auslösen konnte. Dem Forscher wurde
die frappierende Ahnungslosigkeit seiner Mitmenschen in diesen
Minuten überdeutlich.
Erst als er seine Wohnung erreichte, gelang es ihm, die quälenden
Gedanken beiseite zu schieben. Sein Haus lag am Stadtrand inmitten
eines kleinen Gärtchens, in dem Marina und er mit großem
Eifer Gemüse und Früchte anbauten. Sie gehörten zu dem
kleinen Kreis gutverdienender Leute, die sich den Luxus eines
eigenen, abgeschlossenen Wohnbereichs leisten konnten.
Susan, ihre fünfjährige Tochter, hockte in einem
Salatfeld und spielte mit einem Bienenhamster. Dieses possierliche
Tierchen, kaum größer als die ausgestreckte Hand eines
Erwachsenen, besaß am Kopf zwei gefächerte Fühler,
die sich in ständiger Unrast hin- und herbewegten. Aus dem
dichten, bräunlich-grünen Fell wuchsen die Stummel zweiter
hauchdünner, mit feinen Äderchen versehener transparenter
Flughäute. Diese eigenartige Kombination zwischen Nagetier und
Insekt hatte der Gattung ihren Namen eingebracht.
Heyko trat an den Rand des Beetes. Das Mädchen war so mit
seinem Spielgefährten beschäftigt, daß es sein Kommen
zunächst nicht bemerkte.
»Wie oft habe ich dir verboten, hier zu spielen!«
sagte der Forscher scharf.
»Du zertrampelst mir meine Pflanzen.«
Erschrocken sah Susan auf. Ihre großen, intelligenten Augen
musterten den Vater schuldbewußt. Die Fühler des
Bienenhamsters vibrierten erregt und richteten sich auf ihn, als
wollten sie eine mögliche Bestrafung des Mädchens dadurch
verhindern.
»Komm«, forderte er seine Tochter auf. »Es gibt
gleich Abendessen.«
Susan regte sich nicht. Durch den kleinen Körper des Hamsters
lief ein Zittern, die Fühler irrten wie suchend umher, die
Flügelstummel zuckten unkontrolliert.
Der Forscher beobachtete das Tier eine Weile. Er wußte
nicht, was er davon halten sollte. Es hatte fast den Anschein, als
bestünde zwischen Susan und dem Hamster eine innere Beziehung,
als fühlte der Nager die Sorgen und Nöte des Menschenkinds
und bezöge sie auf sich selbst. Der Eindruck drängte sich
geradezu auf, obwohl Heyko wußte, wie unsinnig er war.
»Komm jetzt«, wiederholte er seine Aufforderung.
»Mutter wartet sicher schon.«
Susan löste sich aus ihrer Starre, warf noch einen
bedauernden Blick auf den Bienenhamster, mit dem sie sich so gut
verstand, und setzte das Tier auf der Erde ab. Sofort verschwand der
Nager zwischen den Salatköpfen. Das Mädchen erhob sich,
klopfte sich mit ungeschickten Bewegungen den Schmutz aus dem Kleid
und begrüßte ihren Vater mit sichtlich schlechtem
Gewissen.
»Wie kommt das Tier hierher?« wollte Heyko wissen.
»Es ist ein Freund von mir«, beteuerte Susan, die froh
war, daß ihr Vater nicht weiter darauf einging, daß sie
sich wieder einmal inmitten der bepflanzten Beete aufgehalten hatte.
»Er kann alles verstehen, was ich sage, und er tröstet
mich, wenn ich traurig bin.«
Obwohl Heyko diese Äußerung kindlicher
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