PR TB 219 Bote Des Unsterblichen
Dummkopf. Und wenn ich noch soviel Angst hätte,
ließe ich dich nicht alleine gehen.“ Sie betupfte die
Schrammen zärtlich und seufzte. „Männer! Manchmal
sollte man meinen, die Natur hätte euch kein Gehirn mit auf den
Weg gegeben. Und kein Herz.“
Eine halbe Stunde später waren sie auf dem Weg. Die Nacht
hatte inzwischen begonnen. Die Beleuchtung in den Gängen und
Hallen war auf schwächste Einstellung geschaltet. Ragnasuth und
Vavajna kamen gut voran. Sie durften damit rechnen, daß die
Unnahbaren nach dem heutigen Sieg nicht mehr besonders wachsam waren.
Sie hatten nichts mehr zu befürchten. Wahrscheinlich lagen sie
allesamt auf ihren Lagerstätten und schliefen.
Ragnasuth führte Vavajna zu einem schmalen Durchgang, dessen
Wände zu beiden Seiten ein Dutzend Meter weit in die Höhe
ragten, bevor sie sich zu einer grobgefügten Deckenwölbung
schlössen. Irgendwo weit vor ihnen zeichnete sich der Ausgang
des Spalts wie ein aufrecht stehender Balken gegen einen Hintergrund
Ungewisser, milchiger Helligkeit ab. Dort lag die große Halle,
in der Ferlimor sein Quartier hatte. Ohne besondere Vorsicht drangen
sie in den Durchgang ein und gelangten bis an den Rand der
Felsenhalle.
In diesem Augenblick hörte Ragnasuth über sich eine
spöttische Stimme sagen: „Der Idiot bildet sich
tatsächlich ein, er könnte uns überraschen.“ Ein
schriller Pfiff gellte durchs Halbdunkel, und im nächsten
Augenblick flammten die großen Sonnenlampen unter der Decke der
Halle grell auf.
Ragnasuth war herumgefahren. Als die Lampen aufleuchteten, schlug
er geblendet die Hände vor die Augen. Zwischen den Fingern
hindurch sah er die Gestalten zweier Posten, die hoch über ihm
auf einem Felsvorsprung standen. Sie hatten faustgroße
Steinbrocken in der Hand, mit denen sie auf die beiden Eindringlinge
zielten. Ragnasuth spähte in den Durchgang hinein. Er sah fünf
oder sechs Unnahbare, die sich dort aufgestellt hatten, um ihnen den
Rückweg zu verlegen. Er hörte das Geräusch eilender
Schritte, triumphierendes Geschrei. Grobe Hände packten ihn an
den Schultern und wirbelten ihn herum. Er versuchte, sich zu wehren,
aber es waren der Angreifer zu viele. Sie drückten ihm einfach
die Arme gegen den Leib, bis er sie nicht mehr bewegen konnte. Einer
kam mit einem Seil heran und fesselte ihn mit einer Geschicklichkeit,
als
habe er zeit seines Lebens nichts anderes getan, als Gefangene zu
binden.
Dann hörte er Vavajna schreien - schrill, gellend, voller
Verzweiflung und Entsetzen.
Irgendwo im Hintergrund der Menge erspähte er Ferlimor, den
Riesen. Mit triumphierender Geste warf er sich die halb bewußtlose
Zaphoorin über die Schulter und eilte davon - wohin, das konnte
Ragnasuth nicht mehr sehen. Die Erkenntnis, daß er für
Vavajnas gräßliches Schicksal verantwortlich war, traf ihn
mit solcher Wucht, daß er in die Knie ging.
Tanathu hatte seinen früheren Beobachtungsposten wieder
bezogen. Die Beleuchtung im großen Felsenkessel war auf volle
Intensität geschaltet, obwohl es nach der künstlichen
Zeitrechnung der Burg nahe an Mitternacht war. Rings um Ferlimors
Zelt waren mächtige Tische aufgebaut worden. Auf den Tischen
standen Schüsseln, zum Teil gefüllt, zum Teil leer. Mit
großem Interesse beobachtete Tanathu etliche Unnahbare, die auf
der gegenüberliegenden Seite des Kessels aus einer
Schachtmündung hervortraten und große, hölzerne Tröge
auf den Schultern trugen. In den Trogen schwappte der rostbraune
Brei, mit dem die Schüsseln auf dem Tisch gefüllt wurden.
Der Schacht dort drüben führte also zu jenem Ort hinab,
ändern sich die von den Stoffgründen kommenden Kanäle
entleerten.
Der Bote des Unsterblichen hätte nicht im Traum daran
gedacht, daß seine Vorbereitungen so bald Gelegenheit erhalten
würden, ihre Wirkung zu entfalten. Aber das betrübte ihn
keineswegs. Je rascher sein Plan zu wirken begann, desto geringer war
die Zahl der Untaten, die das Scheusal Ferlimor noch begehen konnte,
bevor er endgültig kaltgestellt wurde.
Er hielt nach dem Anführer der Unnahbaren Ausschau, konnte
ihn jedoch nirgendwo finden - was ihn nach dem Gespräch mit dem
Posten am Tor der Stoffgründe kaum noch überraschte.
Entsprechend gab es auch von Vavajna keine Spur. Tanathu vermutete
den Anführer mit seiner Kampfesbeute zunächst in dem großen
Zelt, das er gemeinhin als Quartier benutzte; als er aber sah,
wieviel Leute durch die offenen Zeltklappen ein- und ausgingen, kam
er zu dem Schluß, daß Ferlimor
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