PR TB 219 Bote Des Unsterblichen
sich wahrscheinlich einen
ruhigeren Ort gesucht hatte. Eher schien es ihm denkbar, daß
der gefangene Ragnasuth sich im Zelt befand und die Ein- und
Ausgehenden Neugierige waren, die sich den geschlagenen Gegner
ansehen wollten.
Zum nächtlichen Freudenfest schienen sämtliche
Mitglieder der Genossenschaft geladen. Tanathu sah sie zu Dutzenden
aus ihren Wohnhöhlen kommen, Männer, Frauen und Kinder, und
über die schmalen Felssteige der Sohle des Kessels zustreben.
Aus den gefüllten Schüsseln bediente sich jeder, wie es ihm
am besten behagte: einige hatten Löffel oder auch nur Hölzer
mitgebracht, die sie in die dicke Brühe tauchten, um sie dann
abzulecken; die weniger Vornehmen steckten einfach die Hand in die
Schüssel und schmierten sich den Brei mit den Fingern in den
Mund.
Beim Umherspähen fiel Tanathu eine Reihe von Wohnhöhlen
auf, deren Bewohner sich entschlossen zu haben schienen, nicht am
Fest teilzunehmen. Es gab insgesamt sechs solcher Höhlen. Sie
lagen eine neben der ändern am selben Felssteig, zur linken
Hand, und als der Bote des Unsterblichen näher hinsah, bemerkte
er zwei Unnahbare, die sich jeweils vor der ersten und der letzten
der sechs Höhlen aufgebaut hatten und sich auf ihre Speere
stützten. Sowohl ihre Haltung wie auch ihre Bewaffnung wirkten
so zeremoniell und steif, daß Tanathu unwillkürlich auf
den Gedanken kam, sie müßten irgend jemandes Leibwächter
sein. Und dann begriff er. Ferlimor hatte die sechs Höhlen dort
drüben räumen lassen, um sich ungestört und in Ruhe
mit der Beute des heutigen Sieges beschäftigen zu können.
Er befand sich in einer der Höhlen, und die Leibwächter
standen da, um jedermann darauf aufmerksam zu machen, daß hier
niemand etwas zu
suchen hatte.
Für Tanathu war diese Beobachtung von großer
Wichtigkeit. Die beiden Leibwächter nahmen nicht an der Feier
teil. Vor ihnen hatte er sich in acht zu nehmen.
Nach etlichen Stunden begann der Nahrungsbrei den die Feiernden in
großen Mengen verzehrten, plötzlich eine merkwürdige
und nie zuvor beobachtete Wirkung auszuüben. Die ersten Symptome
zeigten sich, als unten auf der Sohle des Kessels ein paar Unnahbare
einander in die Arme fielen und ein altes Kampflied anstimmten. Sie
sangen, so gut sie eben konnten - nicht besonders harmonisch, aber
mit viel Inbrunst und Begeisterung. Der Vorgang wirkte ansteckend.
Auf einmal war an mehreren Stellen Gesang zu hören, und da der
rostbraune Brei offenbar nicht nur die Sangeslust förderte,
sondern auch die Stimme kräftigte, fand er von Seiten der fast
schon Gesättigten neuen und vermehrten Zuspruch. Die Schüsseln
leerten sich. Die Träger mit den hölzernen Trögen
traten wieder in Aktion. Allerdings waren sie nicht mehr ganz sicher
zu Fuß. Tanathu sah einen von ihnen stürzen und den leeren
Trog, mit dem er den Schacht hatte hinabfahren wollen, über den
glatten Boden der Halle davonkollern. Niemand kümmerte sich
darum. Der Träger und sein Trog blieben liegen. Das Fest ging
weiter.
Tanathu konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die beiden
Leibwächter. Ihnen mußte die Entwicklung im höchsten
Maß erstaunlich, wenn nicht gar verdächtig erscheinen. Bis
jetzt hatten sie sich noch nicht von ihren Standorten gerührt.
Aber wie lange würden sie dem merkwürdigen Treiben noch
untätig zusehen?
Da geschah etwas, das den Boten des Unsterblichen im Handumdrehen
von allen Sorgen befreite. Ein paar unter den Festteilnehmern,
offenbar noch ein wenig nüchterner als die große Menge der
Singenden und Torkelnden, empfanden Mitleid mit den beiden Posten.
Einer von ihnen nahm eine Schüssel auf, die soeben aus einem der
Tröge gefüllt worden war, und machte sich vorsichtigen
Schrittes auf den Weg die schmale Felsleiste hinauf, die zu den sechs
Höhlen führte. Bis ganz an die beiden Leibwächter
wagte er sich allerdings nicht heran. Er setzte die Schüssel auf
dem Felssteig ab, machte eine Geste der Beschwichtigung und zog sich
eilends wieder zurück. Die Eile wäre ihm fast zum
Verhängnis geworden. Er hatte die Sohle des Kessels noch nicht
wieder erreicht, da spielte ihm die Trunkenheit einen Trick. Er trat
fehl und stürzte aus drei Metern in die Tiefe. Schaden erlitt er
dabei keinen. Er stürzte in eine Menge Singender, wodurch die
Wucht des Aufpralls ganz erheblich gemildert wurde.
Inzwischen hatte sich einer der beiden Leibgardisten der so
freundlich dargebotenen Schüssel angenommen. Er klemmte sich den
zeremoniellen Speer unter den Arm und
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