PR TB 219 Bote Des Unsterblichen
irritiert. „Ferlimor, das ist das Wort! Der
Fremde mag ein Narr sein, aber er sprach im richtigen Augenblick den
richtigen Namen aus. Man soll den Gefangenen bringen. Er hat wegen
seiner barbarischen Untaten den Tod verdient, und nichts als der Tod
wird ihm werden!“
„Halt!“ erhob sich in diesem Augenblick eine helle,
durchdringende Stimme über die Menge hinweg. „Ich
verlange, daß der Gefangene geschont wird. Ich beanspruche ihn
für mich.“
Der Anführer der Zaphooren sah erstaunt auf. Nicht umsonst
war es ihm vorgekommen, als ertöne die Stimme aus der Höhe.
Die Sprecherin stand hoch aufgerichtet auf einem der Felssteige, die
zu den Wohnhohlen der ehemaligen Unnahbaren führten. Sie trug
ein fremdartiges, strenges Gewand. Aber Ragnasuth erkannte sie
sofort, und die Überraschung verschlug ihm fast die Stimme.
„Vavajna... du...“, stammelte er. Dann besann er sich
seiner Rolle und gewann seine
Fassung wieder. „Ich habe überall nach dir gesucht,
Vavajna. Du gehörst an meine Seite. Komm herab!“
Vavajna regte sich nicht. „Gibst du mir den Gefangenen?“
fragte sie.
Sein Gesicht wurde hart. „Du hast mit Ferlimor nichts zu
schaffen. Er ist mein Gefangener. Er wird hingerichtet.“
Ihre Augen blitzten. „Narr, der du bist!“ rief sie
über die Köpfe der Menge hinweg. „Das war deine
letzte Chance!“
Sie wandte sich ab und stieg das schmale Felsband empor. Kurze
Zeit später verschwand sie in einer der Wohnhöhlen.
Verwirrt blickte Ragnasuth hinter ihr drein. Tanathu fragte sich, was
in diesen Augenblicken in seinem Verstand vorgehen mochte. Er hatte
Vavajna geliebt. Lebte die Liebe noch, oder war auch sie der Hoffart
zum Opfer gefallen? Ragnasuth selbst war seiner Sache nicht sicher.
Er brauchte Zeit, um mit sich ins Reine zukommen; das wurde anhand
seiner Antwort offenbar.
„Lassen wir das Ungeheuer vorerst am Leben“, rief er
der Menge zu. „Seine Hinrichtung hätte uns ohnehin nur den
Appetit verdorben. Das Fest soll beginnen !“
Die Menge röhrte vor Begeisterung. Vavajnas eigenartiger,
Unruhe erzeugender Auftritt war vergessen. Die Männer mit den
Trögen setzten sich eilends in Bewegung und fuhren den Schacht
hinab. Ein paar Minuten vergingen, während die Festteilnehmer
sich rings um die Tische verteilten, so daß sie möglichst
rasch zugreifen konnten, wenn die Schüsseln gefüllt wurden.
Der erste Träger kehrte zurück. Sein Gesichtsausdruck
war eine schwer zu beschreibende Mischung von Verblüffung und
Furcht. Während er auf die steinerne Plattform zuschritt, sah
man, daß sein Trog noch nicht einmal zur Hälfte gefüllt
war.
„Was ist das?“ schrie Ragnasuth zornig. „Können
deine schwachen Schultern nicht mehr tragen, Mann?“
Der Träger setzte den Trog ab. „Die Quelle ist
versiegt“, erklärte er. „Es gibt keinen Stoff mehr.“
Aschfahl im Gesicht sah Ragnasuth sich um. Sein Blick fiel auf den
Fremden. Der hockte bequem am Rand der Plattform und ließ die
Beine baumeln. Die Tasche hatte er neben sich gelegt. „Jetzt
kommst du zu mir, wie?“ sagte er spöttisch, als er
Ragnasuths Blick bemerkte. „Nein, mein Junge, ich habe keinen
Rat mehr für dich.“
Ragnasuth riß sich zusammen. Die Menge erwartete eine
Erklärung. „Es scheint, daß alle Kräfte Sikms
sich heute gegen uns verschworen haben“, rief er und versuchte
dabei amüsiert zu wirken. „Aber das Problem wird bald
gelöst sein. Ein paar Leute sollen .. .“ „Hier ist
die Lösung deines Problems!“ erscholl es wie ein
Fanfarenstoß aus der Höhe. Ragnasuth warf den Kopf in den
Nacken und starrte nach oben. Die Augen traten ihm fast aus den
Höhlen, als er abermals Vavajna erblickte, hoch oben auf einem
der obersten Felsensteige, weit entfernt von der Höhle, in der
sie vor wenigen Minuten verschwunden war. Er gab einen röchelnden
Laut von sich, als er Scharen von Frauen sah, die hier und dort aus
Höhlenmündungen quollen und sich entlang der Gehsteige
postierten. Sie waren bewaffnet, und an ihren düsteren,
entschlossenen Mienen ließ sich erkennen, daß sie nicht
in freundlicher Absicht gekommen waren.
„Was soll das?“ schrie Ragnasuth außer sich vor
Zorn. „Holt die Weiber dort herunter! Sie haben hier nichts
verloren...“
„Mach eine falsche Bewegung“, unterbrach ihn Vavajnas
herrische Stimme, „und ich hole mir dein Leben! Es ist zu Ende
mit der Herrschaft der Männer in diesem Teil der Burg. Die
Bruderschaft der Unabhängigen Frauen übernimmt die
Stoffgründe
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