PR TB 229 Im Tödlichen Schatten
Krächzende Vögel begleiteten uns ein
Stück Weges. Der Tag verging, das Schiff machte mitten in einem
Stück des Flusses fest, das sich wie ein See erweiterte.
Wir verbrachten ungestört eine wunderbar warme, ruhige Nacht.
Am nächsten Morgen stellte sich Atlan ans Ruder, und Ptah
wies ihn ein. Die Ruderer erholten sich. Wir fuhren deswegen so
gemächlich den Fluß hinauf, weil bei größerer
Geschwindigkeit das Schiff Schaden nehmen konnte.
Am frühen Nachmittag riß uns Ptah-Sokars Schrei aus der
Ruhe und weckte einige Schläfer auf.
»Wir sind da! Vor uns liegt die Insel. Ich sehe den
Obelisken!«
Viele von uns drängten sich am Bug zusammen. Der Wasserlauf
gabelte sich in zehn Bogenschuß Entfernung. Ein lautes Geschrei
ertönte, denn für uns alle bedeutete es ein vorläufiges
Ende der Strapazen und vor allem der Ungewißheit. Wir hatten,
wenn auch nicht in jeder Einzelheit, erkannt, was wir für diese
Welt getan hatten. Niemand würde es uns in den Hafenschänken
glauben, niemand!
Sei's drum, sagte ich mir. Wir wissen es anders und besser. Und
mit uns stirbt dieses Wissen aus und wird zur Legende.
»Das ist es! Die letzte Säule!«
Vor uns, ähnlich einem Schiffsbug, erhob sich ein
unglaubliches Durcheinander von Buschwerk, Bäumen, Lianen,
Felsen, Erdreich, Binsengewächsen, Kieseln und Orchideen aus dem
Wasser. Direkt hinter der Spitze bildete der gegabelte Fluß
große Wirbel. Das Schiff schwankte hin und her, als es durch
die weiß schäumenden und lehmig gelben, ruhigen Fluten
driftete und rechts von der Felsnase sich entlang des Ufers einen Weg
suchte.
Ich hörte Charis murmeln:
»Ein überwältigendes Bild. Wie aus wirren
Fieberträumen.«
Baumriesen neigten sich rechts und links über das Wasser.
Galerien von Girlanden und Lianen, wild ineinander verstrickt und
verknotet, verwehrten den Blick ins Innere der Insel. Atlans und
Ricos Waffen dröhnten mehrmals auf. Brennend, dampfend und
schmorend sanken Vorhänge, dreimal so lang wie die AXT DES
MELKART, in den Fluß und gaben die Sicht frei. Kreischend und
heulend flüchteten Scharen von mindestens dreißig
verschiedenen Tiergattungen nach allen Seiten. Wieder einige Schüsse,
und dann sahen wir den Obelisken in voller Größe.
»Hier im Schilf legen wir an. Dahinter sind Steine und
Wurzeln!« ordnete Atlan an. Das Schiff schwang herum und
durchfuhr knirschend das raschelnde Schilf. Der Backbordbug berührte
das Land. Taue flogen nach draußen, ein paar Männer
sprangen vorsichtig an Land und belegten das Schiff an den mächtigen
Wurzeln. Der Obelisk ähnelte allen anderen, die wir gesehen
hatten, und war doch völlig anders.
Seine Oberfläche glänzte und leuchtete im Sonnenlicht.
Wasser rann an ihm herunter und bildete einen Überzug, der sich
bewegte und aufglänzte, kleine Blitze warf und tropfte. Eine
Reihe von elf Gesichtern, riesengroß, und ebenso vielen
Körpern, sehr viel kleiner, hockte übereinander. Rachen,
Hakenschnäbel und Raubtiergebisse ragten uns entgegen. Die
zerklüftete
Säule war schwarz wie die tiefste Nacht, und das Wasser, das
an ihr herunterströmte - es kam aus dem Geäst einiger Bäume
darüber und floß und tropfte in kleinen Rinnsalen
unentwegt -, ließ das Bauwerk leben. Augen blickten uns an,
Zähne warteten begierig darauf, nach uns zu schnappen, und
selbst die kleinen Klauen und Pfoten wirkten dämonisch und
geheimnisvoll.
Wir verließen, bis auf drei Mann Wache, das Schiff. Unter
den Hieben unserer Waffen fielen die Gewächse um und wurden zur
Seite gerissen. Wir entdeckten abermals viele Pfade, die sich kreuz
und quer über das Inselchen hinzogen. Aber es waren nur Tiere
gewesen, von denen die Spuren stammten. Vögel kamen und tranken
vom Wasser. Schmetterlinge, größer als unsere Hände,
umschwirrten die Säule. Über dem obersten Kopf, einem
deformierten Raubtierschädel, schlossen sich die Äse der
umstehenden Baumriesen.
Wir verteilten uns und säuberten in einem großen Kreis
um den Fuß des Baumwerks das Unterholz. Wir warfen die
Überreste in den Fluß. Unter der untersten Gestalt, einem
Drachen oder Salamander, legten wir Stufen aus schwarzem Stein frei.
Einige Schüsse dröhnten auf, und langsam fielen Teile der
Äste herunter. Bewundernd und schaudernd standen wir vor der
Säule. Fremdartigkeit und Kälte strahlten von ihr aus.
Gleichzeitig schien uns jeder einzelne Götze anspringen zu
wollen. Atlan stieß Ocir an und sagte:
»Du weißt natürlich, wie die Sperren zu
beseitigen
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