Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
PR2604-Die Stunde der Auguren

PR2604-Die Stunde der Auguren

Titel: PR2604-Die Stunde der Auguren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Vandemaan
Vom Netzwerk:
Routh entfernt. Das weißgrau gefiederte Tier vollführte einige getanzte Schritte. Dann ließ es einen lauten, trompetenartigen Ruf hören.
    Routh blieb in einigem Abstand stehen. Als keine Antwort erklang, rief der Kranich noch einmal. Wieder keine Antwort. Das Tier wandte Routh den Kopf zu und blickte ihn mit roten Augen an.
    »Ich weiß es nicht«, flüsterte Routh. »Was immer du wissen willst: Ich weiß es nicht.«
    Da richtete der Vogel den Kopf und den Schnabel aufwärts, bog den Hals zurück und hob die Schwingen an.
    Routh nickte ihm zu.
    Der Kranich machte einige rasche Schritte auf den See zu. Er bog seinen Hals in Flugrichtung, trompetete erneut, streckte, schon flugbereit, den Hals, schlug mit den Flügeln und brach dann zusammen.
    Routh erstarrte für einen Moment. Dann war er mit zwei, drei Sätzen dort und kniete sich neben das Tier.
    Der Vogel versuchte, den Kopf zu heben. Routh legte ihm die Hand unter den Schädel, leicht wie Balsaholz. Das Tier gab einige langsame klackende Geräusche von sich. Routh neigte ihm sein Ohr, als erwartete er, der Vogel wollte sein Geheimnis mit ihm teilen.
    Kein Ton mehr. Der Kranich war tot.
    Alle unsere Albträume werden wahr, durchfuhr es Routh. Die Welt ist ende und aus.
    Erst in diesem Moment kam ihm das ferne Geraune zu Bewusstsein. Es klang, als würden Hunderte, wenn nicht Tausende Menschen flüstern, die Stimme bebend von kaum unterdrückbarer Erregung.
    Und eine dieser Stimmen musste Anicee gehören.
     
    *
     
    Routh näherte sich dem Stimmengewirr im Schutz der Weiden. Abseits vom See erstreckte sich der Point Poloa Hoa. Er war vor langer Zeit ein paar Mal mit Anicee dort gewesen, als sie ein drei- oder vierjähriges Mädchen gewesen war.
    Point Poloa Hoa war nach einer Welt benannt, die sich vor Jahrhunderten großer Popularität bei Ruheständlern der Raumflotte erfreut hatte. Der Flecken war eine gestaltete Ideallandschaft: sanfte Hügel, Bäche, gischtende, wunderlich verzweigte Wasserfälle, Kletterfelsen. Das Ganze wirkte wie eine Miniatur: Die Kletterfelsen waren das Gebirge, ein nicht mehr als drei Meter hoher Himalaya, die Gipfel in Schnee und Eis. Die tiefe und federnde Wiese geeignet, jeden Sturz abzufedern. Die Seen, die von den winzigen Flüssen gespeist wurden, waren knietief, besiedelt von sanften, fischartigen Wesen, die kitzelten und mit ihren antiseptischen Zungen die kleinen Wunden leckten.
    An diesem Abend schien diese Welt wie mit Riesen bevölkert.
    Sie standen in kleineren und größeren Gruppen beisammen, manche auch allein für sich. Wieder waren es überwiegend Jugendliche, Terraner zwischen vierzehn und etwa zwanzig Jahren. Einige wenige hielten deutlich jüngere Kinder an der Hand, allem Anschein nach Geschwister.
    Routh gehörte zu den verschwindend wenigen Älteren.
    »Wie viele sind hier?«, fragte er Puc.
    »Ich kann nicht alle sehen. Mindestens dreitausend, maximal aber dreitausendzweihundert.«
    »Schick eine Mikrosonde los.«
    »Ich habe nur noch zwei.«
    »Los damit!«
    Es wurde still in den Menge, als eine getragene, zugleich beruhigende und bezaubernde Melodie erklang.
    Routh lauschte. Da, vielleicht einhundert Meter vor ihm, stand der Fremde und blies in seine Phenube. Er war dem Hamburger Auguren wie aus dem Gesicht geschnitten, vielleicht etwas schmaler, zugleich und auf unbestimmte Weise standfester, selbstsicherer noch als sein Artgenosse in Hamburg, wenn das überhaupt möglich war.
    Das Spiel endete.
    Der Fremde begann zu sprechen: »Ich bin Botschafter Stradhaird. Es ist mir eine Ehre, vor euch, vor so vielen jungen Terranern zu sprechen. Jung nach Lebenszeit oder«, er blickte einigen seiner Zuhörer in die Augen, und er ließ sich Zeit dafür, »auch jung nach Lebensweise und Charakter.«
    Tatsächlich bemerkte Routh nur sehr vereinzelt Menschen, die älter als dreißig Jahre sein mochten.
    Und nur in den Gesichtern dieser wenigen drückte sich noch etwas Distanz zu dem Auguren aus – oder dem Botschafter, wie er sich selbst nannte.
    Die anderen standen ganz im Bann des Fremden.
    Stradhaird sagte: »Ich bin kein Mensch, kein Terraner. Mir ist bekannt, dass ihr nicht kleinmütig seid. Dass ihr Menschlichkeit in vielerlei Gestalt erkennt. Und dass ihr Humanität achtet. Woher ich das weiß? Ich weiß es, weil ich in euren Heiligen Büchern gelesen habe, in diesen wunderbaren und wohltuenden Schriften, in denen so viel Trost liegt, so viel einfache und zugleich unergründliche Wahrheit.«
    Das nun

Weitere Kostenlose Bücher