PR2604-Die Stunde der Auguren
Heilschlaf zu. Ein Medoroboter überwachte ihre Körperfunktionen. Nanomaschinchen waren längst unterwegs, ihre Knochen wieder herzurichten. Hin und wieder sprach ihn der Roboter mit irgendeiner Bagatelle an. Die Maschine musste seine innere Anspannung gespürt haben und versuchte wohl, ihn zu beruhigen. Routh antwortete einsilbig und wandte sich endlich demonstrativ von der Maschine ab.
Er legte Anicee seine Hand auf die Stirn, flüsterte ihren Namen und atmete den Duft ihrer gereinigten Haut ein.
Am Mittag um 12.30 Uhr schlug sie die Augen auf.
»Hallo!«, sagte er.
Sie lächelte schwach und flüsterte etwas. »Auris«, verstand er.
»Die Mediker bemühen sich«, log er. Aber wer weiß – vielleicht taten sie das.
Sie schloss die Augen.
»Soll ich deine Mutter informieren?«
Sie schüttelte langsam den Kopf. »Es ist alles okay. Stör sie nicht. Sie hat Wichtiges zu tun.«
»Ma regiert«, sagte er und lächelte.
Anicee lächelte zurück und schlief wieder ein.
»Sie schläft«, sagte der Medorobot. »Sie träumt.«
Eine neu gekannte Mixtur aus Gefühlen erfüllte Routh. Da war eine ungeheuere Erleichterung, dass sie überlebt hatte; ein bitterer Triumph, sie wiedergewonnen zu haben und zugleich die Scham über diesen Triumph, und die vorauseilende Enttäuschung darüber, dass sein Gewinn sich als flüchtig erweisen würde. Oder? Würde Anicee noch einmal, vielleicht in Anbetracht der Katastrophe, seine Nähe suchen?
Er strich sich ein paar schwarze Haarsträhnen aus den Augen, die gleich wieder herunterrutschten.
Die Zeit verstrich. Als sie um 15 Uhr noch schlief, sagte er: »Puc aktiv.«
»Großer Bruder?«
Er betrachtete nachdenklich die Figur, die in ihrem schwarzen Smoking auf seinem Handgelenk saß und ein winziges Glas an die Lippen führte. »Du hast doch die Notfallnummer?«
»Ich verfüge über ein ganzes Sortiment an Notfallnummern.«
»Du weißt schon, welche ich meine. Ruf ihre Mutter an.«
Kurz darauf projizierte Puc ein Holofeld. Routh schaute ihr ins Gesicht. Sie sah abgeschlagen aus und zugleich erbost. Und, wie er mit einem Hauch von Genugtuung bemerkte, alarmiert.
Bevor er etwas sagen konnte, fragte sie: »Ist etwas mit Ani?«
»Hallo, Henrike!«, sagte er. »Ich störe dich ungern bei Regierungsgeschäften. Ani hatte einen Unfall, aber sie ist außer Gefahr. Es geht ihr gut. Ich bin bei ihr, im Eric Manoli.«
Er hatte nicht verhindern können, dass der letzte Satz vorwurfsvoll klang. Er hatte es wohl auch gar nicht verhindern wollen.
»Danke!«, sagte sie leise. »Ich komme, sobald ich kann. Sag ihr das.«
»Sobald sie wach ist.«
»Sonst noch was?«
Er nickte bedächtig. »Ich war in Hamburg.«
»Shamsur ... lass die Späße. Klartext bitte.«
»Ich habe Anicee gesucht. Sie war in Hamburg, weil ihre derzeitige Liebste dort daheim ist. Auris.«
»Ich weiß«, sagte Henrike Ybarri, schaute ihn neugierig an. »Warum erzählst du mir das?«
»Sie hat dort einen dieser Auguren gehört. Und sie ist nach Terrania zurückgekommen, um auch hier einen Auguren zu hören. Diese Typen dirigieren sie und viele Jugendliche um den Globus. Seid ihr im Bild, was diese Fremden betrifft?«
Henrike Ybarri machte eine fahrige Geste. »Wir haben ein paar Probleme. Das kann selbst dir nicht entgangen sein.«
»Ich habe das Gefühl, dass die Auguren genau zu diesen Problemen gehören oder gehören sollten.«
Sie lachte auf, eine Portion Zorn darin. »Sicher. Wir werden uns am alles und jeden kümmern. Zu gegebener Zeit.«
»Zeit ist das, was uns am Ende fehlen wird.«
Sie hob die Augenbrauen. »Was soll das Geunke? Wenn du etwas über diese Auguren weißt, was ich wissen sollte – sag es.«
Was sollte er ihr sagen? Dass er ihre Reden gehörte hatte, voller Geraune und ominöser Andeutungen? Dass er sie im Verdacht hatte, Leichenfledderer zu sein? All das schien wirklich keine Konkurrenz für die Schwierigkeiten zu sein, gegen die Henrike, Bull und die anderen derzeit ankämpfen mussten.
»Ich weiß offenbar nicht genug«, gab er zu.
»Halt mich auf dem Laufenden«, bat Ybarri.
Er nickte. Ohne nachzufragen, ob sie damit Anicee oder die Auguren gemeint hatte, sagte er: »Ja.«
Ganz bei der Sache
Ybarri hatte um ein kurzes Vier-Augen-Gespräch gebeten.
Sie waren allein. Bull fragte: »Eine deiner Töchter?«
Sie nickte. »Die jüngere. Anicee.« Sie atmete tief ein. »Mach dir keine Sorgen. Ich bin ganz bei der Sache.«
»Bist du nicht. Und ich würde mir Sorgen machen,
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