PR2610-Die Entscheidung des Androiden
»Verbindung mit der LEUCHTKRAFT, Nachricht senden.«
Eine Klappe öffnete sich. Ich blickte auf den kunstvoll verzierten Deckel, schob ihn nach oben und entnahm die mehrfach gefaltete Folie und den Stift.
Eine seltsam altertümliche Art der Kommunikation, die sich jedoch im Zusammenhang mit den Zeitschatullen immer wieder als zuverlässig erwiesen hatte.
Sicher wartete Fallun Vierauf schon auf Nachricht von mir. Er konnte sich denken, dass ich mich an ihn wenden würde. Wobei ich ja gerade dieses missachtet hatte, was ihm völlig unverständlich gewesen war.
Lange dachte ich über die Formulierung nach. Wie konnte ich ihn am besten herausfordern und dazu bringen, über seinen eigenen Schatten zu springen? Er musste wie ich hinter die Dinge blicken und verstehen, was die Kommandantin Samburi Yura in dieser Situation wirklich von uns erwartete.
Dies war eine besondere Zeit, und sie erforderte besondere Maßnahmen.
Interessant. Vielleicht war das die richtige Botschaft, um Vierauf aufzurütteln.
Dies ist eine besondere Zeit, schrieb ich in den alten Symbolen der Mächtigen. Und diese erfordern ...
Ich brach ab. Mir war etwas Besseres eingefallen.
Rasch legte ich die Folie zurück in die Schatulle, sagte »Vernichten und neu erstellen« und schloss den Deckel.
Als ich wieder öffnete, fand ich eine neue Folie vor. Diesmal wusste ich genau, was ich zu schreiben hatte; es dauerte nur Sekunden. Ohne einen zweiten Blick darauf zu werfen oder einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, sandte ich die Nachricht an Fallun Vierauf.
Danach sprang ich in die Tiefe.
*
Kaum zurück in der Zentrale, hüpfte das schwarze Wesen auf mich zu, das an ein Wollknäuel erinnerte. Eines der beiden Firibirim.
Ich wollte es wegscheuchen, doch es reagierte nicht. Zutraulich, hätte Alraska es wohl genannt. Ich empfand es als störend.
Gewiss, es hatte Alraska und mich gerettet, indem es mit seinem Gefährten das Kästchen zu mir zurückbrachte, aber musste ich deshalb dankbar sein? Ich hatte nicht um Hilfe gebeten. Es erinnerte mich nur an mein Versagen, und das war alles andere als angenehm.
»Die Suche in der Anomalie hat bislang kein Ergebnis erbracht«, informierte mich Alraska und bestätigte damit meine Erwartungen. Ich hatte mich nur deshalb nicht gegen diese Suchaktion ausgesprochen, um die Zeit für eine Nachricht an Vierauf nutzen zu können.
»Erlaubst du mir den Zugriff auf alle gesammelten Daten?«, fragte ich.
»Selbstverständlich. Aber die Orter sind nirgends auf etwas gestoßen. Du wirst nichts Interessantes entdecken können.«
Auf die Anomalie kam es mir allerdings gar nicht an. Ich hielt nach etwas völlig anderem Ausschau. Deshalb analysierte ich nicht die gemessenen Daten, die in der Tat eintönig und nichtssagend blieben, sondern die jeweilige Sensorenreichweite
Was ich vermutete, bewahrheitete sich sofort, erst recht, als ich die Werte in ein einfaches Balkendiagramm verwandelte. Ich ging zu Alraska und präsentierte ihm das Ergebnis meiner kurzen Bemühungen.
»Je mehr Zeit vergeht, umso stärker und umfassender wird der Eisbrechereffekt deines Tabus«, erklärte ich. »Das ist gut und schlecht zugleich. Die Schutzfunktion verschafft uns ein stetig wachsendes Maß an Sicherheit. Wir können in der Anomalie immer besser bestehen.«
Alraskas Maske bewegte sich kaum merklich, als er nickte; eine Geste der Zustimmung, wie sie bei seinem Volk weitverbreitet war. »Aber es bedeutet ebenso, dass ich für die Escalianer immer gefährlicher werde. Bald werde ich mich dem Palast der Harmonie nicht mehr zu nähern brauchen, um ihnen hart zuzusetzen.«
»Eine Bedrohung, die für sie noch viel ernsthafter ist als zuvor«, bestätigte ich. »Je länger du wartest, den Palast erneut aufzusuchen, umso katastrophaler wird es sich für die Escalianer auswirken.«
Alraska traf, ohne zu zögern, die einzig sinnvolle Entscheidung. »Wir kehren zum Palast zurück. Sofort!«
Fallun Vierauf
Diesmal erfüllte sich Fallun Vieraufs Hoffnung.
Eine Botschaft lag in der Zeitschatulle. Mehrmals las er sie und saß danach bewegungslos am Rand der Plattform. Die Beine hingen in die scheinbar bodenlose Tiefe.
Das war alles?
Vierauf hatte mit einem Lagebericht gerechnet, womöglich mit einer Bitte um Unterstützung, mit dem verzweifelten Ruf, die Machtmittel der LEUCHTKRAFT einzusetzen und ihnen zu Hilfe zu eilen.
Die Wahrheit sah anders aus.
Denk für dich selbst!
Mehr nicht. Eroin Blitzers Botschaft
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