PR2633-Der tellurische Krieg
Auslösung von Beben konzentrieren«, sagte Farro. »Die Gewinnung von Bodenschätzen, egal ob Erdöl, Erdgas oder auch Kohle, kann durch die Veränderung der Spannung in Gesteinsschichten teils schwere Erschütterungen auslösen. Ähnliches gilt für die Nutzung geothermischer Energie, sobald mit Salz versetztes Wasser in tiefere Bodenschichten gepresst wird. Immerhin steigt die Erdwärme mit jedem Tiefenkilometer um rund dreißig bis vierzig Grad Celsius an. Das führt zu teils extremen Druckunterschieden und Ausdehnungseffekten. Aber Beben waren schon früher immer nur Begleiterscheinungen, niemals der Zweck.
Das eigentliche Problem sind die von Megabeben gefährdeten Bereiche unseres Planeten. Das gilt zum Beispiel für die Westküste des gesamten amerikanischen Doppelkontinents, weil dort die pazifische Platte unter die amerikanische Kontinentalplatte abtaucht. Die ozeanischen Krusten sind dünner und trotzdem schwerer als die Kontinentalkrusten. Sie sinken ab, dabei kommt es zur Umkristallisation und zur Aufnahme durch andere Konvektionswalzen.
Früher standen die Menschen extremen Beben im Nahtstellenbereich der Platten hilflos gegenüber. Seit Langem kennen wir jedoch Methoden, die frühzeitig mit Gegenmaßnahmen ansetzen. So schaffen wir es, den Spannungsaufbau zwischen sich aneinander verhakenden Platten zu mindern, bevor sich die anwachsende kinetische Energie entlädt.
Grundsätzlich anders wirkt die künstliche Auslösung einzelner Beben, wenn zum Beispiel gravomechanische Stoßimpulse generiert werden.«
»Für wann müssen wir mit dem Beben rechnen?«, fragte Muura Palfrey. »Da es nicht aufgrund von Reibungseffekten entsteht, werden wir keine Spannung abbauen können.«
»Ich weiß nicht, wann«, gestand Farro. »Bei einem natürlichen Beben könnten wir uns auf Vorläuferphänomene stützen. Das sind Änderungen der elektromagnetischen Eigenschaften des Gesteins, der seismischen Geschwindigkeit und der seismischen Ruhe. Sogar das Verhalten von Tieren gab schon immer deutliche Hinweise, wurde nur meist nicht verstanden oder falsch eingeschätzt.«
»Der Krieg ist also keineswegs vorbei.« Muura Palfrey fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht.
»Ich fürchte sogar, er hat gerade erst richtig begonnen.«
»Und diesmal spielen sich die mörderischen Schlachten nicht weit entfernt im Weltraum ab, sondern es wird ein tellurischer Krieg, eine Auseinandersetzung in den Eingeweiden unseres Planeten. – Wann? Wir haben ein Recht darauf, es so genau wie möglich zu wissen.«
Farro bedachte die Einsatzleiterin mit einem gequälten Blick. Er schüttelte den Kopf.
»Die Nano-Maschinen arbeiten in einem atemberaubenden Tempo. Viel Zeit bleibt möglicherweise nicht. Wenn es hoch kommt, wenige Tage. Im schlimmsten Fall nur Stunden – oder nicht einmal mehr das.«
Zum ersten Mal schaute er die Einsatzleiterin offen an. »Für die betroffenen Gebiete muss umgehend Alarm ausgelöst werden. Die gesamte Zona Mexico ist vorsorglich zu evakuieren. Andernfalls müssen wir mit einer Katastrophe rechnen.«
Muura Palfrey nickte knapp. »Einverstanden«, sagte sie. »Ich kontaktiere die CAZADORA. Kommandant Okyay wird den Alarm auslösen.«
*
Fünfzehn Minuten später war alles in die Wege geleitet. Enes Okyay informierte die Besatzung der VELLAMO I persönlich.
Er hatte mit dem Terranischen Residenten gesprochen. Reginald Bull hielt sich seit dem frühen Morgen in der Einsatzzentrale im Tower des Raumhafens von Mexico City auf. Er war über Transmitter direkt aus der Solaren Residenz gekommen. Auch die Erste Terranerin war informiert.
Gleichlaufend mit dem Großraum Mexiko wurde die Evakuierung von Port Moresby und weiten Teilen Terranias begonnen. Niemand durfte annehmen, dass die dort abgestürzten Ovoide eine weniger bedrohliche Fracht getragen hatten.
In allen drei Regionen sammelten sich Raumschiffe. In den ersten Minuten waren es nur wenige Dutzend, doch bald schon Hunderte von Großraumschiffen, und die Zahl ihrer ausgeschleusten Beiboote ging schnell in die Tausende. Korvetten, Space-Jets und Shifts waren wegen ihrer geringen Größe äußerst beweglich und wurden deshalb für die Notfallversorgung eingeteilt. Von vornherein war abzusehen, dass die Evakuierung trotz des Einsatzes aller verfügbaren Käfigtransmitter und der öffentlichen Verkehrsmittel niemals schnell genug gelingen konnte.
*
Es war 21.17 Uhr Tiempo del Centro Zona Mexico, der 5. Oktober 1469 NGZ.
Urplötzlich
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