Pralinen im Bett: Schuhdiebe, Mutterliebe, Seitenhiebe und weitere Tücken des Alltags (German Edition)
mal eine Tasse Tee. Jedenfalls versuchen wir’s. Wir verharren am Eingang des goldlastigen Tea-Rooms, ohne dass jemand uns eines Blickes würdigt, während sich weitere Modeleute hinter uns stauen. Schließlich führt man uns doch an einen Tisch, aber als der Kellner sich direkt vor unserer Nase einem Tisch mit Vogue -Angestellten nähert, kreischt Liz: »Wir sind eher da gewesen!« Leider verweigert er uns selbst jetzt die geringste Aufmerksamkeit. (Gott, die Modebranche ist dermaßen zickig!)
Dann geht es weiter in den Art-Deko-Ballsaal, in dem sich nicht nur die Menschen, sondern auch die Handtaschen drängen – eine so hohe Konzentration wahrhaft legendärer Exemplare ist mir noch nie untergekommen. Unsere ersten Goody Bags des Tages – mit Diptych Duschgel – sind unerklärlicherweise von unseren Sitzen »verschwunden«. Zum Glück findet sich ein überzähliges
Exemplar, das Marie mir netterweise überlässt. Ich nehme es an. Ich kenne keine Scham.
Die Musik beginnt, alles sehr französisch – Akkordeon und Chansonnieren –, aber direkt hinter mir sitzt ein Mann mit einem RIESENHAFTEN Blumenstrauß, und ich höre während der gesamten Show ausschließlich Zellophangeraschel.
Da kommen sie auch schon den schwarzen Marmorlaufsteg herunter, ein hübsches Partykleid nach dem anderen. Jede Menge schwarzer und rosa Satin, besetzt mit schwarzen Glitzerperlen, was eine Art Zierdeckcheneffekt hervorruft. Weiche Wickeltops und ausgestellte Ballerinaröcke mit Belle-Époche-Druck, dann erneut eine Welle zierdeckchenbewehrter Partykleider, und auf einmal merke ich, dass ich mich langweile. Jetzt schon ermattet? (Ich bin echt ein Naturtalent.)
Alice Temperley kommt heraus, um sich zu verneigen, und das ist der große Augenblick für meinen raschelnden Freund mit den Blumen. Er stürmt in Richtung Steg, aber Alice hüpft davon wie ein verschrecktes Reh. Der Raschler weicht zurück und schaut dumm aus der Wäsche.
Inzwischen bin ich ganz schön verwirrt, um nicht zu sagen erschüttert. Ich hatte immer geglaubt, dass Mode nur ein Scherz ist, den man mit normalen Leuten treibt, dass es sich um eine große Verschwörung handelt, nach dem Motto: »Lachen wir uns mal so richtig kringelig über die Dummis, die keinen Schimmer von Mode haben«, wenn Anna Wintour eine Standing Ovation für eine Show anführt, in der mit Schnorcheln und Goldlaméslips bekleidete Mädchen über den Laufsteg stolzieren. Aber was ich bisher gesehen habe, war alles geradezu enttäuschend tragbar .
16 Uhr 35, Zelt des British Fashion Council in der King’s Road: Gharani Strok
Also, das hier kommt der Sache schon näher. Atmosphäre wie in einem Bienenstock, wabernde Trockeneisschwaden, Menschen wandern herum und trinken mit Strohhalmen aus Mini-Moet-Flaschen, das Sitzarrangement ist extrem chaotisch. Aber was die Geschenktüten angeht, eine echte Goldader! Eine Korsage von Phillo, ein Make-up-Täschchen im Pucci-Stil, gefüllt mit Produkten von I Coloniali und – das Beste von allem! – zwei Krispy-Kreme-Doughnuts, vermutlich die süchtigstmachende Substanz auf dem Planeten. Ich habe miterlebt wie ein Junge, der bei einer Promotionveranstaltung in Ohio keine Gratis-Doughnuts mehr bekam (weil er bereits ungefähr sechzehn Stück verdrückt hatte), wie ein Wilder auf die Bediensteten losging.
Das Licht erlischt, Siebzigerjahremusik im Shaft -Stil erklingt, und das erste Mädchen, das den Laufsteg runterkommt, trägt einen Hauch von Glitzer und dazu einen rosa Flittchenpelzmantel. Dann folgt ein Model in Bikini, einem schwarzen Pelzmantel und kniehohen Stiefeln. Mucho schimmernde Discowear, alles ganz à la Studio 54, dem legendären New Yorker Nachtclub der Siebziger, alles geschlitzt bis zur Taille, vorn und hinten, und nun bekommen wir auch die erste Brustwarze des Tages zu Gesicht. Gleich darauf die zweite. Dann die dritte. Es ist ein richtiges Tittenfest mit Kleidern, die ganz »zufällig« von der Schulter und bis zur Taille rutschen, und Mänteln mit nichts darunter außer dem Slip. Fast alles ist absolut untragbar – genau das, was ich ursprünglich erwartet hatte.
Danach tun alle schrecklich verächtlich. Irgendjemand meint, die Klamotten sehen aus, als wären sie von irgendwelchen Studenten im Hinterzimmer zusammengeschustert worden. Alles nur Show und keine Substanz, sagt ein anderer. Na ja, denke ich und
drücke mein Gratissäckchen ein bisschen fester an die Brust, na ja, mir hat’s gefallen.
18 Uhr,
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