Pretty Little Liars - Vollkommen
schrecklich. Das Licht brannte, sie lag auf dem Bettzeug und trug immer noch
das schwarze Cocktailkleid und den silbernen Halsschmuck. Sie hatte weder ihr Gesicht gewaschen noch ihre Haare mit hundert Bürstenstrichen gebürstet. Dabei verzichtete sie vor dem Schlafengehen sonst nie darauf. Sie fuhr sich mit der Hand über Arme und Beine. An ihrem Oberschenkel befand sich ein blauer Fleck. Als sie ihn berührte, schmerzte er.
Sie schlug sich die Hand vor den Mund. Die Erinnerung. Ihr war augenblicklich klar, dass alles wahr war. Ali war mit Ian zusammen gewesen und sie hatte es völlig vergessen. Das war das Puzzlestück in der Erinnerung an jene Nacht gewesen, das ihr gefehlt hatte.
Sie ging zu ihrer Tür und stellte fest, dass der Knauf sich nicht drehen ließ. »Hallo?«, rief sie zögernd. »Ist jemand da? Ich bin eingeschlossen.«
Niemand antwortete.
Spencers Puls beschleunigte sich. Etwas war hier ganz und gar nicht in Ordnung. Ein Teil des Abends fiel ihr wieder ein. Scrabble. Der Artikel. S KLAUT. A., die ihrer Schwester den Aufsatz schickt. Und … und dann? Sie legte die Hände auf ihren Scheitel, als wolle sie die Erinnerung herausziehen. Und dann?
Auf einmal konnte sie ihren Atem nicht mehr kontrollieren. Sie begann zu hyperventilieren und sank auf dem hellen Teppich in die Knie. Beruhige dich , befahl sie sich, rollte sich zu einer Kugel zusammen und versuchte, langsam und tief zu atmen. Aber es kam ihr vor, als seien ihre Lungen mit Styroporkugeln gefüllt. Sie hatte das Gefühl zu ertrinken. »Hilfe«, rief sie schwach.
»Spencer?«, hörte sie die Stimme ihres Vaters von der anderen Seite der Tür. »Was ist los?«
Sie kroch zur Tür und richtete sich auf. »Daddy? Ich bin eingeschlossen! Lass mich raus!«
»Spencer, das ist zu deinem eigenen Besten. Du hast uns ziemlich Angst eingejagt heute Abend.«
»Angst?«, fragte Spencer. »W-womit?« Sie starrte auf ihr Spiegelbild im Spiegel an ihrer Zimmertür. Ja, das war immer noch sie. Sie war nicht aus Versehen im Leben einer anderen Person aufgewacht.
»Wir haben Melissa ins Krankenhaus gebracht«, sagte ihr Vater.
Spencer verlor plötzlich das Gleichgewicht. Melissa? Krankenhaus? Warum? Sie schloss die Augen und sah, wie Melissa die Treppe hinunterfiel. Oder war das Ali? Spencers Hände zitterten. Sie erinnerte sich nicht. »Ist Melissa okay?«
»Das hoffen wir. Bleib einfach, wo du bist«, sagte ihr Vater vor der Tür. Er klang wachsam. Vielleicht hatte er Angst vor ihr und kam deshalb nicht ins Zimmer?
Sie saß lange Zeit fassungslos auf ihrem Bett. Wie hatte sie das vergessen können? Wieso konnte sie sich nicht daran erinnern, dass sie Melissa verletzt hatte? Wie viele schreckliche Dinge hatte sie noch getan und gleich wieder aus ihrem Gedächtnis ausradiert?
Alis Mörder befindet sich direkt vor deiner Nase , hatte A. gesagt, als Spencer an ihrem Schminktisch in den Spiegel geblickt hatte. War das möglich?
Ihr Handy, das auf ihrem Schreibtisch lag, klingelte.
Spencer stand langsam auf und schaute auf das Display. Hanna .
Sie klappte ihr Handy auf und hielt es sich ans Ohr.
»Spencer?« Hanna kam sofort zur Sache. »Ich weiß etwas. Du musst dich mit mir treffen.«
Spencers Magen krampfte sich zusammen und ihr Verstand raste. Alis Mörder befindet sich direkt vor deiner Nase. Sie hatte Ali getötet. Sie hatte Ali nicht getötet. Es war wie das alte Spiel mit Gänseblümchenblüten: Er liebt mich, er liebt mich nicht . Vielleicht sollte sie sich mit Hanna treffen und … gestehen?
Nein. Das konnte nicht die Wahrheit sein. Ali war in einem Loch in ihrem Hintergarten gefunden worden, nicht auf dem Pfad vor der Mauer. Spencer hätte Ali unmöglich zu ihrem Garten tragen können, dafür war sie nicht stark genug, richtig? Sie wollte jemandem davon erzählen. Hanna. Und Emily. Und Aria. Sie würden ihr sagen, dass sie ja verrückt sei, dass sie nie im Leben Ali getötet hatte.
»Okay«, krächzte Spencer. »Wo?«
»Bei den Schaukeln auf dem Spielplatz der Rosewood Day. Unserem alten Treffpunkt. Komm so schnell wie möglich.«
Spencer sah sich um. Sie konnte ihr Fenster nach oben schieben und an der Hausmauer nach unten klettern. Das war so einfach wie die Kletterwand in ihrem Fitness studio.
»Gut«, flüsterte sie. »Ich bin gleich da.«
DANN IST ALLES VORBEI
Hannas Hände zitterten so heftig, dass sie kaum ihren Wagen lenken konnte. Die Straße zum Spielplatz der Rosewood-Day-Grundschule wirkte viel dunkler und unheimlicher
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