Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Price, Richard

Price, Richard

Titel: Price, Richard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clockers
Vom Netzwerk:
sie nicht mal zu ihm auf. Zwei Jahre alt, zwei Uhr morgens.
    »Oh,
Zebra.«
    »Leg dich
hin, Baby«, sagte Rocco auf Zehenspitzen und rieb sich über den Bauch.
    »Du machst
mich so glücklich.« Ihre Stimme klang wie ein Brummen oder Stöhnen.
    Rocco ging
auf der Suche nach Verstärkung an den Kühlschrank. Verzweifelt, hier und schon
wieder weg zu sein, holte er eine kalte Flasche Stolichnaya heraus und drehte
die Packung Eiscreme so, dass er das Reinheitsgebot des Herstellers lesen
konnte. Er hob die Flasche an den Mund und hob die Linke, den Handteller nach
vorn, als wollte er einen Eid ableisten. Er ließ einen dünnen, stetigen Strom
Wodka durch seine Kehle rinnen - gerade so lange, wie man braucht, um das
Reinheitsgebot von oben bis unten durchzulesen, all der Scheiß über frische
Milch und Vanilleschoten.
    Vor ein
paar Monaten hatte er einen üblen Fall gehabt, einen dreijährigen schwarzen
Jungen, der an einer Türklinke in der O'Brien-Siedlung hing, das Gesicht von
Rocco abgewendet, als würde er sich vor ihm schämen. Das Kind sah wie ein
vergessener Wäschesack aus, und Rocco hatte das Bild in jener Nacht mit
heimgenommen, war gleich auf den Kühlschrank zugegangen und hatte sich nicht um
knarrende Dielen geschert. Doch dann hatte er Erin gehört, die hinter der
Reispapierwand intonierte: »Armer David ... ist schon gut, ist schon gut, ist
schon gut«, und Rocco, den es, auf einer Welle von Furcht treibend, zu dem
Kinderbett zog, hatte gesagt: »Wer ist David, Baby?«, und Erin hatte sanft und
ernsthaft aufgesehen. »Schwarzer David ... hat aua am Hals.«
    Näher als
bei diesem kleinen Austausch war er mit dem Übernatürlichen nie in Berührung
gekommen, und als Rocco in dieser Nacht wieder daran dachte, nahm er einen
schnellen, inoffiziellen Schluck, zischte wegen dessen Schärfe und drehte
langsam die Flasche zu.
    Er stand
über Erin und beobachtete, wie sie sich abwesend an einem Nasenflügel kratzte,
eine unangenehm erwachsene Geste. Und obwohl er sie ansah, vermieden ihre Augen
auf gleichgültige Weise den Kontakt mit den seinen, als würde sie ihn
absichtlich ignorieren.
    »Soll
Daddy dir >Michael, Row the Boat< vorsingen?«, Rocco fühlte die Wärme des
Reinheitsgebots, fühlte sich stark.
    »Nein,
danke.« Ihre Stimme war tief und rauchig.
    »>This
Old Man    »Nein,
danke bitte.«
    Rocco
wurde von jener Panik ergriffen, die er oft verspürte, wenn er in ihrer Nähe,
in seiner eigenen Nähe war. Er hatte das Gefühl, als sei er zugleich hier und
fünf Jahre weiter und blicke zurück auf genau diesen Augenblick und auf den
Verlust dieses Augenblicks. Er glitt stets an der Gegenwärtigkeit ihres
Beisammenseins vorbei, stürzte sich wie ein unehrlicher
Hochgeschwindigkeitsclown für erschöpfende fünfzehn Minuten am Tag auf sie,
und vom Augenblick ihrer Geburt an hatte er das Gefühl, auf seinem eigenen
Totenbett zu liegen und sich voller Bedauern daran zu erinnern, wie sprunghaft
und kurz die Zeit mit ihr gewesen war. Gewesen war, so als sei sie eine hart
gewordene Siebenunddreißigjährige und geschieden statt ein zwei Jahre altes
Kind, als sei er sechsundachtzig und senil statt dreiundvierzig und leicht
übergewichtig.
    »Rocco!
Komm mal schnell her!« Patty legte von jenseits der Tür einen scharfen Ton in
ihre Stimme, und Rocco begann automatisch eine Liste von Entschuldigungen und
Verteidigungen vorzubringen.
    Patty lag
auf dem alten Bett, ihr Haar auf dem quadratischen Kissen ausgebreitet, ihr
Gesicht ganz Hornbrille und Perlmutthaut, junge, unsterbliche Haut. Sie deutete
mit der Fernbedienung auf den Fernseher, der von den aus Ahorn gedrechselten
Pfosten am Fuß des Bettes eingerahmt wurde.
    »Schau mal
- das ist er doch, oder?«
    »O ja«,
sagte Rocco sanft.
    Irgendeine
von diesen auswechselbaren Nachrichtensprecherinnen interviewte Sean Touhey,
einen blonden, um Verbindlichkeit bemühten Bühnenschauspieler in den
Dreißigern, der gerade aus einer Wiederaufführung von >Sweet Bird of
Youth< kam, ein Stück, nach dem man ihn mit Filmangeboten überschüttet
hatte.
    »Ich
interessiere mich nicht für Entertainment an sich.« Touhey machte eine Pause.
»Ich interessiere mich für Infotainment, Edutainment. Ich will gleichzeitig
aufwühlen ... und heilen.«
    »Himmel,
hat er sich so aufgeführt?« Patty sah zu Rocco hoch.
    »Er war
okay.« Sean Touhey hatte in der vorigen Woche drei Tage lang im Büro des
Staatsanwalts herumgehangen und darauf gewartet, dass jemand ermordet wurde.

Weitere Kostenlose Bücher