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Price, Richard

Price, Richard

Titel: Price, Richard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clockers
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gewesen, als er sie vom Büro aus angerufen hatte. Er
hatte >gute Neuigkeiten und keine Fragen< versprochen, war aber mit dem
Satz abgespeist worden, er könne ihr die Neuigkeiten ja übers Telefon sagen. Am
Ende hatte er sie damit herumgekriegt, dass er sich auf dienstliche
Angelegenheiten berufen hatte, so als läge die Entscheidung, wen sie in ihre
Wohnung lassen wollte, nicht bei ihr.
    Als
Victors Mutter die Tür öffnete, starrte sie ihn an, als sei er ein
Geldeintreiber. Rocco war erneut über ihre hervorquellenden Augen überrascht;
er setzte sein bestes Lächeln auf und hielt ihr die Schachtel mit der
Schokoladentorte entgegen. Sie ignorierte das Geschenk, und Rocco stand da und
wartete darauf, dass sie einen Schritt zurück machte, damit er eintreten
konnte.
    »Wo sind
denn die Kinder?« Er legte etwas Enttäuschung in seine Stimme und hielt ihr
wieder die Torte hin. »Ich hoffe, Sie sind nicht auf Diät gesetzt oder so ...«
    Rocco
glaubte fest an Schokoladentorte. Biskuitkuchen, Streuselkuchen, die
verschiedenen Gebäcke, alle hatten ihre Fans und Kritiker, aber er war noch keinem
Bewohner der Siedlung begegnet, der Schokoladentorte widerstehen konnte. Doch
Victors Mutter schien ob des Angebots ungerührt, warf nur einen kurzen Blick
aus den Augenwinkeln darauf, ging dann in die Küche und ließ ihn allein mitten
im Wohnzimmer stehen.
    Die
Wohnung war blitzsauber und still, die späte Nachmittagssonne ließ die Wände
regelrecht glänzen, die Luft roch nach der chemischen Fruchtigkeit eines
Raumsprays, und das einzige Anzeichen von Unordnung war ein großer Haufen
Münzen auf dem Esstisch, vielleicht etwa fünfzig Dollar in Silber und Kupfer.
    »Also, wie
geht's Victor?«, rief Rocco, während er an das Regal mit den Fotos trat und ein
zwanzig mal fünfundzwanzig Zentimeter großes gerahmtes Studioporträt eines
gewichtigen Mannes in den Dreißigern in die Hand nahm. Der Typ trug Kleidung
im Soulstil der späten sechziger oder frühen siebziger Jahre: hohe Afrofrisur,
Schnurrbart und Koteletten, ein mit Blumenmuster bedrucktes Hemd mit langen
Kragenspitzen, die über eine dunkelbraune Weste fielen. Strikes und Victors
Vater?
    Rocco
stellte das Foto wieder zurück, als Victors Mutter mit einem Kuchenteller,
einer Gabel und einer Serviette zurück ins Wohnzimmer kam und alles auf den
kleinen Esstisch stellte. Sie setzte sich vor den Münzenberg, wies Rocco mit
einem Nicken an, Platz zu nehmen, und begann, die Vierteldollarmünzen auf
rotes Zehn-Dollar-Münzpapier zu schieben und Wechselgeldrollen für die Bank zu
rollen.
    Rocco kam
sich wie ein Idiot vor, seinen eigenen Kuchen in der Wohnung dieser Dame zu essen,
aber er hatte keine andere Wahl. Insgeheim bewunderte er es sogar, wie sie ihn
mit seinen eigenen Mitteln aus dem Gleichgewicht brachte.
    »Trinkgelder?«
Er nickte zu dem Geldberg.
    »Hmm-hmm.«
Sie weigerte sich, ihn anzusehen, und ihre geschickten Finger arbeiteten
konzentriert, während sich ihr Oberkörper mit dem Ein- und Ausatmen hob und
senkte.
    »Wo
arbeiten Sie?«
    »Restaurant.«
    Rocco
seufzte und legte die verdammte Gabel hin. »Hören Sie, hier ist mein Problem.
Ich bin derjenige, der Victors Geständnis aufge nommen hat. Und ich habe alles, was ich brauche, bis
auf das Motiv. Ich kann mir nicht denken, warum Victor so etwas tun, warum er sein Leben verschleudern würde. Ich habe mit allen
möglichen Leuten über ihn gesprochen, mit dem Reverend der First Baptist
Church, mit den Leuten vom >Hambone's<, mit den Leuten, für die er in New
York gearbeitet hat, mit allen. Alle sagen sie dasselbe. Er ist der netteste
Bursche, dem sie je begegnet sind, der allernetteste ...«
    »Also, was sind die guten Neuigkeiten?« Sie sprach zu ihren rasend flinken
Fingern, stellte die Frage schnell und leise, als ob sie sich damit Schläge
einhandeln könnte.
    »Nun, ich hab nachgedacht, und wissen Sie was?« Er
legte eine Pause ein und versuchte, sie dazu zu bringen, ihn deswegen anzusehen.
»Ich glaube nicht, dass er diesen Kerl umgebracht hat, ich glaub einfach nicht,
dass er's war.«
    Keine Reaktion ihrerseits. Nichts, nur die Finger, die
das Silber aufblitzen ließen, dieser gequälte Blick voller Konzentration. Rocco
zögerte, völlig aus dem Konzept gebracht. Er hatte angenommen, dass sie ihn
zumindest ansehen, wenn nicht gar vom Hocker springen und ein paar >Gelobt
sei Jesus Christus< von sich geben würde.
    »Und, ahm, ich denke, dass die Person, die den Kerl getötet hat, immer noch da

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