Price, Richard
draußen ist, frei herumläuft, und ...«
Rocco hielt verwirrt inne. »Gibt es irgendwas, was Sie mir sagen könnten,
irgendwas, womit Sie mir helfen könnten ...« Er wartete: immer noch nichts.
»Ich meine, sagen Sie mir, was Sie denken, weil, ich weiß genau wie Sie, dass
er es nicht getan hat.«
Mehr als ein Schulterzucken war ihr nicht zu entlocken,
bevor sie sich wieder über die Münzen hermachte.
»Schauen Sie, mein Problem ist, es ist leicht, die
Sache schnell zu beenden, aber ich bin nicht daran interessiert, den falschen
Mann ins Zuchthaus zu bringen. Ich kläre einen Haufen Fälle auf, und ich brauch
das nicht. Ich will den wahren Killer, verstehen Sie, und wenn ich ihn kriege, ist
Victor ein freier Mann. Das ist die gute Neuigkeit.«
Sie erhob
sich, und ein halbes Dutzend Münzrollen stand auf dem Tisch wie eine winzige
Stadtsilhouette. Rocco sah zu, wie sie durchs Zimmer ging, eine Schublade
aufzog und einen Asthmainhalator hervorzog. Sie drehte ihm den Rücken zu und
atmete schnell ein, wobei sie jedes Mal die Schultern einzog.
»Darf ich
Sie was fragen?« Rocco wartete, bis sie sich umdrehte, damit er ihr Gesicht
sehen konnte. »Als Victor letzten Freitagabend hier anrief, worüber haben Sie
da gesprochen?«
»Er hat
letzten Freitagabend nicht hier angerufen.« Sie drehte ihm wieder den Rücken zu
und hantierte in der Schublade herum.
»Nun, rein
zufällig weiß ich aber, dass jemand um etwa halb zehn vom >Rudy's< aus
hier angerufen und etwa eine halbe Stunde gesprochen hat, und ich hab einfach
angenommen, dass es Victor war.«
»Nein.«
Sie hielt ihre Hände in der Schublade in Bewegung, als falte sie einen Stapel
Servietten zusammen.
»Okay«,
sagte Rocco und durchschaute ihre Lüge. »Also, wer hat denn angerufen, wenn ich
mal fragen darf.«
»Ich weiß
nicht. Ich war arbeiten.«
»Und wer
hat dann -«
»Ich weiß
nicht. Ich war nicht da.«
»Würde
ShaRon -«
»Vielleicht.«
Sie sprach
schnell, die Worte klangen wie abgebissen, und wieder erkannte Rocco, dass sie
log. ShaRon hatte in jener Nacht nicht mit Victor gesprochen; angesichts der
stummen Unbeweglichkeit bei seinem ersten Besuch hier bezweifelte er sowieso,
dass ShaRon und Victor überhaupt noch viel miteinander sprachen. Nein, Victor
hatte fünfunddreißig Minuten damit zugebracht, mit dieser Lady hier zu
telefonieren. Aber worüber hatten sie gesprochen, zum Teufel? Was wusste sie?
Rocco
erinnerte sich daran, wie Thumper ihm erzählt hatte, wie er vor einem Jahr mit
ihr aneinandergeraten war. Vielleicht schützte sie Strike, den verlorenen
Sohn, schützte ihn ebenso, wie Victor es tat.
»Hat Ihr
Sohn jemals einen Psychiater aufgesucht?«, fragte Rocco sanftmütig.
»Nein.«
Sie wandte sich zum Tisch und widmete sich wieder ihrer Münzarbeit.
»Kann es
sein, dass Ihr Sohn die Schuld für jemand anderen auf sich genommen hat?
Vielleicht für jemand, dem er nahestand? Jemand, für den er sich verantwortlich
fühlte?«
Sie sagte
nichts. Rocco war kurz davor, aus der Haut zu fahren. »Vielleicht gab es
jemanden, den er enttäuscht hat, jemand, für den er ein Vorbild hätte sein
sollen, und vielleicht hatte Victor das Gefühl, als sei das alles seine Schuld.
Und dann gibt er durch dieses unglaubliche Opfer diesem anderen Burschen eine
weitere Chance, sein Leben in Ordnung zu bringen, verstehen Sie?«
Rocco sah
sie erwartungsvoll an und wartete darauf, dass sie den Namen nannte.
Schließlich sah sie ihn an. »Er hat Ihnen doch gesagt, dass der Bursche ihn
angegriffen hat. Ich verstehe nicht, wieso Sie ihm nicht glauben.«
Rocco war
am Ende seiner Tricks angelangt, hatte das Gefühl, dass es nichts mehr zu
verlieren gab, und beschloss, es ihr direkt auf den Kopf zuzusagen. »Nun,
schauen Sie ... Ich dachte, ich komme hier mit einer guten Nachricht vorbei,
aber, ahm, wissen Sie, was man sich auf der
Straße darüber erzählt?«
»Die
Straße interessiert mich nicht«, sagte sie mit saurer Miene.
»Ja, nun,
man sagt sich, dass Victor die Schuld für seinen Bruder auf sich nimmt. Für
Ronnie ...«
Die Frau
lächelte, das erste Mal, dass Rocco sie jemals hatte lächeln sehen.
»Warum
lächeln Sie?«
Ihre
Stimme bekam beinahe einen persönlichen Ton. »Nun, warten Sie mal eine
Sekunde, ich will nicht so tun, als wüsste ich nicht, was er da draußen treibt, aber«, sie lachte trocken, »das heißt noch lange nicht,
dass er zu allem fähig ist.«
»Und was hat er zu der ganzen Sache zu sagen, haben Sie
mit ihm
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