Priester und Detektiv
untersuchen.
Als sie durch das Studierzimmer den Rückweg antraten, blieb er am Tische stehen und nahm eine kleine Nagelschere zur Hand.
»O,« sagte er mit einer gewissen Erleichterung, »damit hat er es gemacht. Und doch« – Und seine Augenbrauen zogen sich zusammen.
»Ach, hören Sie doch endlich auf mit Ihrem Unsinn über den Papierfetzen,« versetzte der Arzt mit Nachdruck. »Das war eben seine Liebhaberei. Zu Hunderten hatte er deren. Er schnitt all sein Papier so zu.« und er wies auf einen Stoß noch unbeschriebenen Manuskriptpapieres auf einem anderen kleineren Tische. Father Brown trat an diesen heran und ergriff ein Blatt. Es hatte dieselbe unregelmäßige Gestalt.
»Ganz richtig,« sagte er. »Und hier sehe ich die Ecken, die abgeschnitten worden sind.« Und zum großen Ärger seines Begleiters begann er sie zu zählen.
»Stimmt,« schloß er mit entschuldigendem Lächeln. »Dreiundzwanzig beschnittene Bogen und zweiundzwanzig abgeschnittene Ecken. Und da ich sehe, daß Sie ungeduldig sind, wollen wir die anderen aufsuchen.«
»Wer soll es seiner Gattin mitteilen?« fragte Dr. Harris. »Wollen Sie ihr jetzt die Nachricht überbringen, während ich einen Diener um die Polizei schicke?«
»Wie Sie wünschen,« fügte sich Father Brown gleichgültig und begab sich in die Vorhalle.
Hier fand er auch ein Drama, wenngleich etwas groteskerer Natur. Es zeigte nichts weniger als seinen riesenhaften Freund Flambeau in einer Stellung, an die dieser lange nicht mehr gewohnt war, während auf dem Gartenweg am Fuß der Treppe der herzige Atkinson zappelte, die Füße hoch in der Luft, und Hut und Stock nach entgegengesetzten Richtungen den Pfad entlang flogen. Atkinson hatte die nahezu väterliche Obhut Flambeaus endlich satt bekommen und versucht, diesen niederzuschlagen, was bei dem Apachenkönig auch nach dessen Abdankung noch kein so einfaches Spiel war.
Flambeau war daran, sich auf den Feind zu werfen und ihn von neuem zu packen, als der Priester ihn leicht auf die Schulter klopfte.
»Machen Sie Frieden mit Mr. Atkinson, mein Freund,« sagte er. »Bitten Sie einander ab und sagen Sie ›Gute Nacht‹. Wir brauchen ihn nicht länger festhalten.« Dann, als Atkinson, noch etwas zweifelhaft, sich erhob, seinen Hut und Stock aufklaubte und der Gartentüre zueilte, fuhr Father Brown mit etwas ernsterer Stimme fort: »Wo ist der Inder?«
Alle drei (denn der Arzt hatte sich zu ihnen gesellt) wandten sich unwillkürlich der dunklen Rasenbank unter den im Abenddunkel violetten, rauschenden Bäumen zu, wo sie zuletzt den braunen Mann in seinem sonderbaren Gebet schwankend gesehen hatten. Der Inder war verschwunden.
»Verdammt,« rief der Doktor und stampfte wütend mit dem Fuß. »Jetzt weiß ich, daß es der schwarze Kerl war, der es getan hat.«
»Ich dachte, Sie glauben nicht an Zauberei,« erwiderte Father Brown ruhig.
»Das tue ich auch nicht,« gab der Arzt rollenden Auges zurück. »Ich weiß nur, daß mich jener gelbe Teufel anwiderte, schon, als mir der Gedanke kam, er sei ein abgefeimter Betrüger. Und er wird mir noch verhaßter sein, wenn ich denke, daß er wirklich ein solcher war.«
»Nun, es tut nichts, daß er entkommen ist,« meinte Flambeau. »Denn wir hätten ihm doch nichts beweisen und nichts anhaben können. Man kann nicht gut bei der Bezirkspolizei erscheinen und eine Geschichte vorbringen von jemandem, der durch Zauberei oder Autosuggestion aufgezwungenen Selbstmord begangen hat.«
Father Brown hatte sich inzwischen ins Haus begeben, um der Gattin des Toten die Nachricht zu überbringen. Als er wieder herauskam, sah er etwas bleich und bewegt aus, doch was bei jener Unterredung vor sich ging, hat niemand je erfahren, auch nicht nachdem alles sich aufgeklärt hatte.
Flambeau, der ruhig mit dem Arzt sprach, war überrascht, seinen Freund so bald wieder an seiner Seite zu sehen, doch Brown beachtete dies nicht und zog nur den Doktor beiseite.
»Sie haben nach der Polizei geschickt, nicht wahr?« fragte er.
»Ja,« antwortete Harris. »Sie muß in zehn Minuten hier sein.«
»Wollen Sie mir einen Gefallen tun?« sagte der Priester ruhig. »Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, ich sammle solche sonderbare Geschichten, welche oft, wie auch hier in diesem Falle mit unserem Hindu, Elemente enthalten, die man kaum in einem Polizeiberichte niederlegen kann. Nun möchte ich, daß Sie einen Bericht über diesen Fall zu meinem Privatgebrauch niederschreiben. Ihr Gewerbe fordert nüchterne
Weitere Kostenlose Bücher