Priester und Detektiv
hätten. Ihre Blicke waren auf einen anderen Gegenstand geheftet.
Gerade auf ihrem Wege unmittelbar vor der Rundung des Glashauses stand ein hochgewachsener Mann, dessen Gewand in fleckenlosem Weiß zu den Füßen herabfiel, und dessen kahler, brauner Schädel, Hals und Gesicht in der Abendsonne wie schimmernde Bronze erglänzten. Sein Blick war auf den Schlafenden hinter der Glaswand gerichtet, und er selbst war regungslos wie aus Stein gemeißelt.
»Wer ist das?« rief Father Brown, und trat mit verhaltenem Atem einen Schritt zurück.
»O, es ist nur der indische Schwindler,« brummte Harris; »aber ich weiß nicht, was zum Teufel er hier zu tun hat.«
»Es sieht nach Hypnotismus aus,« meinte Flambeau, an seinem Schnurrbart beißend.
»Weshalb schwatzt ihr Nichtmediziner immer Unsinn über Hypnotismus?« rief der Arzt. »Mir macht er eher den Eindruck eines Einbrechers.«
»Nun, auf jeden Fall wollen wir ihn anreden,« entschied Flambeau, der stets zum Handeln bereit war. Ein langer Schritt brachte ihn an die Seite des Inders. Und von seiner großen Höhe herab, die selbst die des Orientalen noch übertraf, sich verbeugend, sagte er mit gelassener Unverfrorenheit:
»Guten Abend, mein Herr. Wünschen Sie etwas?« Ganz langsam, gleich einem großen Schiff, das in den Hafen einlenkt, wandte sich das große gelbe Gesicht um und blickte schließlich über die weiße Schulter. Überraschenderweise waren die gelben Augenlider fest geschlossen wie im Schlaf.
»Ich danke Ihnen,« sprach das Gesicht in vorzüglichem Englisch. »Ich wünsche nichts.« Dann, die Lider halb öffnend, so daß ein schmaler Streifen des schillernden Augapfels sichtbar wurde, wiederholte er: »Ich wünsche nichts.« Darauf die Augen weit zu einem fast erschreckenden, starren Blicke öffnend sagte er nochmals: »Ich wünsche nichts«, und schritt rauschend in den schnell dunkelnden Garten hinaus.
»Der Christ ist bescheidener,« murmelte Father Brown, »er wünscht etwas.«
»Was in aller Welt machte er denn da?« fragte Flambeau mit gerunzelter Stirne etwas weniger laut.
»Ich möchte später mit Ihnen reden,« erwiderte Father Brown.
Das Sonnenlicht war noch vorhanden, doch es war schon der rötliche Schein des Abends, und Bäume und Gebüsch begannen sich immer dunkler davon abzuzeichnen. Die drei schritten um das Ende des Gewächshauses herum und gingen schweigend die andere Seite des Hauses entlang, um jenseits derselben die Vordertüre wieder zu gewinnen. Ihre Schritte schienen, wie man einen Vogel aufschreckt, etwas aus der tiefen Ecke zwischen dem Arbeitszimmer und dem Hauptgebäude aufgescheucht zu haben, und wieder sahen sie den weißgekleideten Fakir aus dem Schatten gleiten und der Vordertüre zuschlüpfen. Zu ihrem Erstaunen jedoch war er nicht allein. Ihr Staunen und ihre Verwirrung wichen aber rasch beim Erscheinen von Mrs. Quinton, die mit ihrem schweren, goldenen Haare und dem bleichen, viereckigen Gesichte ihnen aus dem Halbdunkel entgegentrat. Sie sah etwas finster aus, war jedoch durchaus höflich.
Guten Abend, Dr. Harris,« war alles, was sie sagte.
»Guten Abend, Mrs. Quinton,« erwiderte der kleine Arzt herzlich. »Ich will soeben Ihrem Gatten seinen Schlaftrunk reichen.«
»Ja,« sagte sie mit einer klaren Stimme, »ich glaube, es ist eben Zeit.« Sie lächelte ihnen zu und verschwand im Hause.
»Diese Frau ist überarbeitet,« bemerkte Father Brown: »das ist die Art von Frauen, die zwanzig Jahre lang ihre Pflicht tun und dann etwas Fürchterliches vollbringen.«
Der kleine Doktor blickte ihn zum erstenmal mit Augen voll Interesse an. »Haben Sie je Medizin studiert?« fragte er.
»Ihr Beruf erfordert ebenso einige Kenntnis des Geistes wie des Körpers,« antwortete der Priester, »und der unsere erfordert ebenso einige Kenntnis des Körpers wie des Geistes.«
»Nun,« sagte der Doktor, »ich will jetzt hineingehen und Quinton seine Arznei geben.«
Sie waren um die Ecke der Vorderfront gebogen und näherten sich dem Haupteingange. Bei ihrem Eintritt gewahrten sie den weißgekleideten Mann zum drittenmal. Er schritt so geradeaus dem Eingangstore zu, daß es so gut wie unglaublich erschien, er sei nicht soeben aus dem gegenüberliegenden Studierzimmer gekommen. Und doch wußten sie, daß die Türe dazu verschlossen war.
Father Brown und Flambeau behielten jedoch diese unheimliche Unvereinbarkeit für sich, und Dr. Harris war nicht der Mann, sich den Kopf über das Unmögliche zu zerbrechen. Er ließ den
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