Priester und Detektiv
Klugheit,« betonte er und blickte dem Arzt streng und fest ins Auge. »Es scheint mir manchmal, als wüßten Sie einige Einzelheiten aus dieser Geschichte, die Sie vorzogen, zu verschweigen. Mein Gewerbe ist wie das Ihrige ein verschwiegenes, und ich werde alles, was Sie für mich niederschreiben, streng vertraulich behandeln. Aber schreiben Sie alles.«
Der Arzt, welcher, den Kopf etwas zur Seite gebeugt, nachdenklich zugehört hatte, blickte einen Augenblick dem Priester ins Gesicht und dann sagte er: »Einverstanden,« begab sich in das Studierzimmer und schloß die Türe hinter sich.
»Flambeau,« lud Father Brown ein, »dort ist eine Bank unter der Veranda, wo wir ungestört vom Regen rauchen können. Sie sind mein einziger Freund in der Welt, und ich möchte mit Ihnen plaudern. Oder vielleicht mit Ihnen schweigen.«
Sie ließen sich behaglich unter der Veranda nieder. Father Brown nahm gegen seine Gewohnheit eine gute Zigarre an und rauchte sie beharrlich und stillschweigend, während der Regen auf das Dach niederströmte.
»Mein Freund,« begann er endlich, »dies ist ein sehr seltsamer Fall. Ein höchst seltsamer Fall.«
»Scheint mir auch so,« erwiderte Flambeau, sich leicht schüttelnd.
»Sie nennen ihn seltsam und ich nenne ihn seltsam,« fuhr jener fort, »und doch meinen wir ganz entgegengesetzte Dinge. Der moderne Verstand verwechselt immer zwei verschiedene Ideen: das Geheimnisvolle im Sinne des Wunderlichen und das Geheimnisvolle im Sinne des Unverständlichen. Darin liegt auch die Hälfte der Schwierigkeit bezüglich des Wunders. Ein Wunder ist aufsehenerregend, aber es ist einfach. Es ist einfach, weil es ein Wunder ist. Es ist Macht, welche direkt von Gott kommt (oder vom Teufel), anstatt indirekt durch die Natur oder den menschlichen Willen. Sie meinen nun, daß dieser Fall wunderlich ist, weil ein Wunder vorliegt, weil er durch von einem gottlosen Inder ausgeübte Zauberkraft geschah. Verstehen Sie wohl, ich sage nicht, er war nicht übersinnlich oder diabolisch. Nur Himmel und Hölle wissen, durch welche Umgebung von Einflüssen seltsame Sünden in das Leben der Menschen eindringen? Im vorliegenden Falle aber dreht es sich darum: wenn es, wie Sie denken, nichts als Zauberkraft war, dann ist es wunderbar; aber es ist nicht geheimnisvoll – das heißt, nicht unverständlich, nicht verwickelt. Die Eigenart eines Wunders ist das Geheimnisvolle, doch seine Art ist einfach. Nun aber ist die Art dieses Falles gerade das Gegenteil von einfach.«
Das Gewitter, welches eine Weile nachgelassen hatte, schien wieder anzuwachsen und von fern her rollte schwacher Donner. Father Brown streifte die Asche seiner Zigarre ab und fuhr fort.
»Diesem Vorfalle haftet etwas Verwickeltes, Garstiges, Gewundenes an, das weder den geradeaus zielenden Schlägen des Himmels noch der Hölle eigen ist. Wie man die gewundene Spur einer Schlange kennt, so kenne ich die gewundene Spur eines Menschen.
Ein greller Blitz öffnete sein ungeheures Himmelsauge, der Himmel schloß sich wieder, und der Priester fuhr fort:
»Von all diesen gewundenen, mißgestalteten Dingen war das schlimmste die Gestalt jenes Stückes Papier. Es war krummer als der Dolch, welcher ihn tötete.«
»Sie meinen das Papier, auf dem Quinton seinen Selbstmord bekannte,« fragte Flambeau.
»Ich meine das Papier, auf welches Quinton schrieb ›Ich sterbe durch meine eigene Hand‹,« erwiderte Father Brown. »Die Gestalt jenes Papiers, mein Freund, war die unrechte, die unrechte Gestalt, wenn ich sie je in dieser erbärmlichen Welt gesehen habe.«
»Es war eine Ecke abgeschnitten,« warf Flambeau ein, »und wie ich hörte, war alles Papier Quintons in dieser Weise beschnitten.«
»Eine sehr merkwürdige Art,« fuhr der andere fort, »und meines Erachtens eine sehr schlechte Art. Hören Sie, Flambeau, dieser Quinton – Gott sei ihm gnädig! – war vielleicht in mancher Hinsicht ein gemeiner Kerl, aber er war wirklich ein Künstler, mit dem Stift sowohl wie mit der Feder. Seine Schrift, obwohl schwer lesbar, war kühn und schön. Ich kann nicht beweisen, was ich sage, ich kann überhaupt nichts beweisen. Aber ich sage Ihnen mit aller Kraft meiner Überzeugung, daß er nie dieses elende Stückchen von einem Bogen Papier abgeschnitten haben konnte. Wenn er zu irgend einem passenden Zwecke, sei es zum Einbinden oder sonst etwas Papier zu beschneiden gehabt hätte, würde er einen ganz anderen Schnitt mit der Schere getan haben. Erinnern Sie sich,
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