PRIM: Netzpiraten (German Edition)
entsprechen sie den Textlängen?“, fragte sie dann.
„Das wird zumindest behauptet.“
„Die Mails sind von Frauen. Achtzig, neunzig Prozent. Nach der von Ihnen für erforderlich gehaltenen Anonymisierung offenbar aus den höchsten Gesellschaftskreisen, Wirtschaft, Politik, Fernsehen. Was wollen Sie hören?“, fragte Radványi.
„Nur, was Sie denken. Was könnte so geheimnisvoll sein, dass die Ladies sich genötigt sahen, es zu schwärzen?“
„Das hängt davon ab, was sie darüber wussten oder was sie auch nur befürchteten, wer die Mails zu sehen bekommen würde. Sind es nur gute Freundinnen? Verwandte? Arbeitskollegen? Oder Außenstehende? Ich glaube, dass es Außenstehende sind. FBI, oder unser Verein.“
Alice antwortete nicht.
„Ja, das war zu vermuten“, fuhr Radványi fort und nahm einen Schluck aus ihrer Tasse. „Verräterisch ist die Schwärzung vor dem Namen A in der Unterschrift in der einen Mail.“
„Inwiefern?“
„Es muss eine Intimität sein. Oder ein verräterisch intimer Spitzname. Sonst benötigt A keine Geheimhaltung dieses Wortes vor der NSA. Gibt es Anlagen zu den Mails? Geschwärzte?“
„Nein. Es gibt allerdings Mails, die in der verschlüsselten Form, in der sie versandt wurden, viel, sehr viel länger sind als die entschlüsselten Mails. Da könnten ganze Passagen fehlen.“
„Das sind Fotos.“
„Fotos?“
„Aber sicher! Es geht um Sex. Die schöne, schmutzige Sorte, über die man nur unter den Beteiligten oder mit Gleichgesinnten spricht. Schreiben gibt sogar noch einen extra Kick. Und Fotos sind der absolute Höhepunkt.“
* * *
Auf ihrer Fahrt nach Crypto City konnte Alice sich irgendwie nicht dagegen wehren, immer wieder über Radványis Bemerkung nachzudenken. Gab es einen schmutzigen Begriff, der so ähnlich wie Simlatonna geschrieben wird?
In ihrem Büro hatte Tessenberg eine Notiz hinterlassen, dass er sie erst um 12 Uhr erwartete. Leonie würde sie abholen. Das gab ihr zwei Stunden mehr Zeit, und sie verabredete sich mit Ben Nizer für 11 Uhr.
Mit Peter Cornwell erledigte sie zunächst den aufgelaufenen Papierkram. Beide hatten es eilig, zur eigentlichen Sache zu kommen.
„Die Ferrets haben immer noch nichts gefunden“, begann Cornwell. Er hatte seine Brille abgenommen und putzte die Gläser mit einem Papiertaschentuch. Sein Gesicht sah erstaunlich anders aus als mit der Brille, obwohl sie randlos war und kaum etwas verdeckte, wenn er sie trug. „Das ist schon auffällig und bedeutet nach meiner Ansicht, dass die PRIM-Leute ihr Handwerk sehr gut verstehen.“
„So weit würde ich das nicht interpretieren. Es dauert einfach auch lange, bis die Ferrets richtig weit vordringen. Welche waren die letzten, die du losgeschickt hast?“
Cornwell setzte die Brille wieder auf, holte eine Datei auf seinen Bildschirm und zeigte Alice die zuletzt von den Stoningtons freigegebene Mail. Darin waren vier unterschiedlich lange Stellen gelb hinterlegt. Zwei davon enthielten im Mittelteil von den Stoningtons geschwärzte Zeichen.
„Hoffentlich stimmt die Angabe, dass die Längen der Schwärzungen genau den abgedeckten Textlängen entsprechen. Wenn nicht, bringen diese Ferrets nichts“, sagte Alice.
„Wir könnten Ableger mit Platzhaltern für beliebig viele fehlende Zwischenzeichen losschicken.“
„Nein, nein. Damit erhalten wir zu viel Ausschuss. Und es dauert viel länger. Wenn die Stoningtons direkt in den entschlüsselten Dateien schwärzen, werden dabei eigentlich keine Stellen entfernt. Meine Sorge ist allerdings, dass sie etwas von den Ferrets wissen. Stonington hat sicher gute Quellen. Dann könnten sie mit dem Herausnehmen oder Hinzufügen einiger Stellen unsere Ferrets sabotieren.“
„Aber nur die Ferrets, die geschwärzte Stellen enthalten. Die anderen Klartextbots würden uns die originale Mail liefern, und zwar ohne jede Schwärzung. Und hoffentlich den Dieb, möglicherweise sogar PRIM verraten.“
„Richtig. Und unsere Längenbots und die Cypherbots liefern uns im Erfolgsfall die verschlüsselten Mails und deren Speicherorte. Aber ob sie uns auch gleich zu PRIM führen, ist eine andere Sache. Die Mails könnten bei den Servern lediglich durchgeleitet worden sein. Das ist bei dem Klartext einer entschlüsselten Mail dagegen sehr unwahrscheinlich.“
Alices Bemerkung bezog sich auf zwei Varianten ihrer Ferrets, die ebenfalls losgeschickt wurden. Die erste suchte im Netz nach Sende- und Empfangsdaten über Mails mit
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