Prime Time
eine Geißel der Demokratie«, antwortete Torstensson. »Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der Massenmedien, kriminelle Personen aller Gesellschaftsgruppen auszumachen und zu entlarven.«
Wirklich?, dachte Schyman. Und ich dachte immer, das sei Aufgabe der Polizei.
Er verschränkte die Arme und zwang seinen Puls, ruhiger zu werden. Wenn jemand diese Sache hinkriegen konnte, dann war es Mehmed.
Die Mauer aus Säcken an Annes Schneidetisch war vielleicht sogar ein klein wenig niedriger geworden.
»Komm rein, dann kannst du hören, was ich hier gefunden habe«, sagte Anne Snapphane hinter den Stapeln.
Annika ging leise und zögernd um die Plastiksäcke herum.
Sie fühlte sich unsicher, ihre Knie waren weich und ihr Gang ein wenig schwankend.
»Zuerst habe ich gedacht, das wäre irgendein altes Band, weil keine Bilder dabei sind«, sagte Anne und drehte die Lautstärke hoch. »Hör mal!«
Annika blieb hinter ihrer Freundin stehen und atmete die elektrisch aufgeladene Luft ein und musste vom Staub niesen.
Dann lauschte sie dem Band, das in einem gewöhnlichen VHS-Recorder steckte, der zu Annes Füßen stand. Statisches Knistern, Rauschen und hinter all dem Wimmern, Stöhnen und Keuchen.
»Was ist das denn?«, fragte Annika.
»Keine Ahnung«, sagte Anne Snapphane, die den Kopf gerade in einen Plastiksack neben sich steckte.
»Sind da nur Geräusche drauf?«, fragte Annika.
»Ja. Ich höre mir das jetzt schon eine Viertelstunde an.
Klingt wie jemand beim Bumsen.«
Anne Snapphane richtete sich wieder auf. Ihr Gesicht war rot von der Anstrengung, und sie hielt einen Packen Bänder in der Hand.
»Das muss etwas von den Aufnahmen vom ›Sommerschloss‹ sein«, sagte sie. »Wahrscheinlich vom letzten Abend.«
Sie wechselte in einem anderen Apparat, einem der Betageräte, das Band. Der Monitor über ihr sprang an und zeigte die regennasse Umgebung von Schloss Yxtaholm. Die Leute auf der Tonspur liebten sich weiterhin, während auf dem Betaband der Ton gecheckt wurde und die Kameraleute das Licht prüften.
»Sag mal«, sagte Annika, »ich muss dich was fragen.«
»Was denn?«, fragte Anne und schaltete das Betaband auf Schnelldurchlauf.
Annika schluckte und sah auf den Nacken und das zerzauste Haar ihrer Freundin.
»Stimmt es, dass Michelle dir für die Probeaufnahme damals die falsche Zeit gesagt hat?«
Der Nacken erstarrte, die Schultern wurden hochgezogen.
Anne Snapphane drehte sich um und starrte Annika mit offenem Mund an.
»Wer hat das gesagt?«
»Stimmt es? Hat sie deine Probeaufnahme sabotiert?«
Anne starrte ein paar Sekunden zu ihr hoch, dann wandte sie sich wieder ab und wechselte das Betaband im Apparat.
Aus dem Gerät zu ihren Füßen kam weiterhin Stöhnen und Keuchen.
»Ich weiß nicht«, meinte sie. »Karin Bellhorn behauptet es.
Ich weiß nicht, warum sie in so einer Sache lügen sollte.«
Sie ließ die Archivkleber sinken und starrte über die Plastiksäcke in die Ferne.
»Auf der anderen Seite verstehe ich nicht, warum sie das nicht schon vorher erzählt hat.«
Sie warf Annika einen raschen Blick über die Schulter zu.
»Mit anderen Worten, ich weiß es nicht«, sagte sie.
»Wieso?«
Die Frage blieb im Raum stehen.
»Stimmt es, dass du, als du das hörtest, gedroht hast, Michelle … umzubringen?«
Annikas Stimme klang rau.
Anne zog sich zurück.
»Ach so«, sagte sie. »Du fragst dich also, ob ich sie getötet habe.« Sie drehte sich wieder um und sah Annika ruhig ins Gesicht. Annika schluckte hörbar.
»Nein, nicht doch«, sagte sie, »das nicht. Aber du hast mir nichts davon erzählt. Es war ein wenig komisch, es von jemand anders zu hören.«
Anne schaute auf ihre Hände.
»Zuerst habe ich es einfach vergessen«, sagte sie. »Und dann habe ich mich wahrscheinlich geschämt.«
Sie sah Annika wieder an.
»Tatsache ist, dass an dem Abend fast jeder Michelle am liebsten umgebracht hätte.«
Sie sahen sich an, und Annika wusste, dass das stimmte.
Die angespannte Stille im Zimmer wurde von den Geräuschen des Geschlechtsverkehrs auf dem Band ausgefüllt, und Annika und Anne schraken zusammen, als die Laute plötzlich abbrachen. Ein Rauschen wie von einem unerwarteten Luftzug fuhr durch die Lautsprecher, und eine leise Männerstimme war im Raum zu hören.
»Did someone come?«
Das Rauschen ging weiter, ergänzt von leichten elektrostatischen Störungen.
»No, no one, come on …«
Und wieder waren die Laute zu hören, das Flüstern und Lachen, das Stöhnen und
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