Prime Time
den Mann anzusehen.
»Ich habe Barbara Hanson verboten, diese eine Journalistin zu verfolgen. Das wissen Sie genau.«
»Sie verfolgt niemanden«, sagte Torstensson und verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Sie hat über eine Person des öffentlichen Lebens berichtet, das gehört zu den Dingen, die man als Prominenter eben aushalten muss.«
»Es gibt Grenzen«, sagte Schyman, »und Barbara hat sie seit langem überschritten.«
»Das finde ich nicht«, gab der Chefredakteur zurück.
Anders Schyman fühlte sich plötzlich sehr müde. Diese unangenehme Erschöpfung hatte ihn in den letzten Tagen schon häufiger heimgesucht.
Ich kann nicht mehr, dachte er. Es ist mir alles scheißegal.
»Barbara Hanson ist eine der besten und erfolgreichsten Reporterinnen dieser Zeitung«, sagte Torstensson. »Sie ist bekannt für ihre scharfzüngigen und furchtlosen Glossen über verschiedene Stars, das ist ein Gütezeichen der Zeitung …«
»Jetzt sagen Sie mir nicht, wofür diese Zeitung steht«, unterbrach ihn Schyman, plötzlich voller Zorn. »Barbara Hanson ist ein faules, verwöhntes und höchst alkoholsüchtiges Mitglied der Eigentümerfamilie dieser Zeitung, und das ist der einzige Grund, weshalb sie sich bei Ihnen herausnehmen kann, was sie will.«
Der Chefredakteur zuckte zusammen, das letzte bisschen Blut wich aus seinem Gesicht.
»Das kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein«, sagte er.
»Wir reden doch über alle Mitarbeiter immer nur Klartext, oder? Hasse in der Sportredaktion haben Sie den besoffenen Fahrer genannt, Annika Bengtzon hieß schon mal die Mörderin. Ist Barbara Hanson etwa empfindlicher als andere?«
»Ich werde mir das nicht länger anhören«, sagte der Chefredakteur gepresst und wandte sich zum Gehen.
Anders Schyman stand auf.
»Und wohin wollen Sie jetzt? Könnten Sie bitte bei Tore Brand eine Telefonnummer hinterlassen, ehe Sie gehen?«
Er betrachtete Torstenssons gebeugten Rücken unter der dünnen Baumwolle. Das Rückgrat zeichnete sich wie eine Landschaft aus Bergen und Tälern ab. Die Rippen hoben und senkten sich mit den Atemzügen des Mannes. Als er sich schließlich umdrehte, war sein Gesicht wutverzerrt.
»Ich gehe nirgendwohin«, sagte er. »Ich habe vor, heute Abend da draußen zu sitzen, bei den Journalisten.«
Der Redaktionschef sah dem anderen Mann in die Augen und versuchte, sein Verhalten zu deuten.
Er nimmt den Kampf auf, dachte Schyman. Er lässt nicht locker. Hatte ich etwas anderes erwartet?
»Sie können jetzt nach Hause gehen«, sagte Torstensson und stieß die Tür auf.
»Ich habe noch ein paar Unterlagen durchzusehen«, erwiderte Schyman.
»Das muss aber nicht heute Abend sein.«
»Befehlen Sie mir, die Redaktion zu verlassen?«
Schyman ließ sich schwer in den Stuhl fallen, lehnte sich zurück, legte die Hände in den Nacken und starrte seinen Chefredakteur an.
Torstensson schloss wortlos die Tür hinter sich.
Karin Bellhorn küsste Bosse auf beide Wangen, hielt seine Hände in ihren und nickte Annika zu.
»Schreckliche Geschichte«, meinte Bosse.
Die Fernsehproduzentin war blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Das Haar hatte sie mit einem lila Plastikkamm zu einem losen Dutt hochgesteckt. Strickjacke mit Taschen, zerknitterte Bluse, weite Hosen mit Ethno-Muster.
»Das Schlimmste ist«, sagte sie leise, »dass es irgendwie in der Luft lag. Es sind einfach scheußliche Tage gewesen.«
»Kannst du irgendwas erzählen?«, fragte der Reporter und schielte zu Annika hinüber.
Die Produzentin zog ihre Handtasche nach vorn, wühlte darin herum und fand eine Sonnenbrille und eine zerknitterte Zigarettenschachtel. Sie setzte sich die Brille auf, Bosse gab ihr Feuer, und dann nahm sie einen tiefen Zug und schaute auf den See hinaus.
»Schön ist es hier, nicht wahr?«, fragte sie mit fast durchsichtigem Atem. Aller Tabakrauch schien von ihrer Lunge absorbiert worden zu sein.
Annika und Bosse nickten. Es war wirklich sehr schön. Es ging eine leichte Brise, und die Blätter in den Baumwipfeln fingen an zu zittern. Auf dem Långsjö tanzten silberne Spiegel, die Schafe blökten.
»Es tut mir so furchtbar Leid für Michelle«, sagte sie langsam und schaute weiter zum anderen Ufer. »Sie hat noch nie so unter Druck gestanden wie bei diesen Aufnahmen.«
»Haben Sie schon lange mit Michelle gearbeitet?«, fragte Annika mit etwas trockenem Mund. Die Fernsehproduzentin flößte ihr Respekt ein.
Karin Bellhorn warf ihnen einen Blick über die
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