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Prime Time

Prime Time

Titel: Prime Time Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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kümmerte sich auch nicht um Wasser.
    Du hättest gefunden, dass ich es schon richtig mache, dachte sie. Die Stimme erklang in ihrem Innern, ebenso seltsam jugendlich und klar wie zu Lebzeiten. Man braucht eine Arbeit, damit man für sich sorgen kann. Man darf niemals von einem Mann abhängig sein, um Essen auf dem Tisch zu haben, hörst du, Annika, sieh zu, dass du einen guten Beruf bekommst.
    »Ich habe ein Mädchen bekommen«, flüsterte sie. »Jetzt habe ich zwei Kinder.«
    Den nächsten Satz verschwieg sie.
    Du hättest es nicht gut gefunden, dass ich nicht verheiratet bin. Sie versuchte, ein Gebet zu sprechen, Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme … aber das Gebet verstummte, verklang, und ließ nur das Summen in den Birken und das Rascheln junger Espen zurück. In der Ferne donnerte der Zug auf dem Weg nach Eskilstuna vorbei.
    Du fehlst mir, Großmutter. Du fehlst mir jeden Tag. Ich brauche dich, da ist ein Loch in mir, seit deine Liebe nicht mehr da ist. Trauer und Selbstmitleid trieben ihr brennend heiße Tränen in die Augen. Sie schluckte sie hinunter und ging schnell weg.
    »Hast du Zeit für einen kleinen Umweg?«, fragte sie, als sie wieder ins Auto stieg.
    Anne Snapphane saß mit geschlossenen Augen da, den Kopf an die Nackenstütze gelehnt.
    »Ich fahre, wohin du fährst.«
    Sie ließen die Kirche hinter sich und bogen auf der Straße, die sich zwischen den Holzhäusern hindurchschlängelte, nach links. Es ging ganz dicht an den Hausecken und Schuppen, an den Glasveranden und Traktoren vorbei.
    Außerhalb des Dorfes folgte die Schotterstraße weich und sanft den uralten Hohlwegen und Ackergrenzen. Rote Bauernhäuser mit weißen Eckbalken standen auf Lichtungen, das unregelmäßige Fensterglas glitzerte, und vor den Häusern wogte ein rosa-lila Meer von Lupinen. An der Einfahrt zur Sommerresidenz des Ministerpräsidenten schloss sich der Wald feucht und dunkel um sie. Dann öffnete er sich zum See von Harpsund mit dem berühmten Boot darin, in dem schon die Herrscher der Welt herumgerudert waren. Das große Haus im Stil der Zeit Karls des XII. stand am Wegesrand. Einige Autos mit getönten Scheiben und die Wachleute an der Gartenmauer legten nahe, dass der Ministerpräsident da war. Annika fuhr langsamer und ließ den Schlosspark auf sich wirken.
    »Hier war meine Großmutter Hauswirtschafterin.«
    Anne Snapphane nickte schweigend.
    Sie passierten langsam die scharfen Kurven in Granhed und fuhren dann durch die Dunkelheit des Waldes am Hosjön.
    »Hier drin liegt Lyckebo«, sagte Annika und zeigte am Wasser entlang. Der Bauer hatte gepflügt, und man konnte den See von der Straße aus sehen. »Großmutters Haus. Oder besser gesagt das von Harpsund. Sie durfte es nur mieten.
    Jetzt dient es als Jagdhütte.«
    Sie näherten sich Hälleforsnäs, Annika fuhr langsamer und merkte, dass ihr Puls schneller schlug.
    »Hier bist du doch aufgewachsen, oder?«, stellte Anne Snapphane fest und setzte sich auf.
    Annika nickte. Sie hatte einen Frosch im Hals. Sie fuhr nach links zu der alten Eisenhütte. Sie war schmutzig und rostig, der Putz war abgefallen, und in den Fensterbögen saßen Eternitplatten. Am Tor mit dem Stacheldrahtzaun blieb sie stehen und starrte auf den Schrottplatz und die kaputten Fassaden.
    »Der Hochofen?«, fragte Anne.
    Sie nickte wieder und sah weg. Sie wollte den Schornstein nicht sehen, der Rauch und Feuer aus dem Schacht geleitet hatte. Sie starrte auf den Asphalt, der kaputt und geflickt war.
    In den Schlaglöchern stand immer noch Wasser.
    Ohne darüber nachzudenken, stieg sie aus dem Auto und ging ein paar Schritte den Hügel hinauf. Das Auto ließ sie im Leerlauf. Ein Windstoß brachte Abgase und den Geruch lange vergessenen Industrieabfalls mit sich. Der Wind wurde scharf und erstickend und biss in den Augen.
    Anne folgte ihr. Annika zeigte mit dem Finger auf den Hügel vor ihnen.
    »Da, Tattarbacken. Da wohnen meine Mutter und meine Schwester.«
    Auf der Anhöhe standen anonyme Reihenhäuser, rote Häuser aus den Vierzigern, mit Blick auf die Eisenhütte, jetzt von Unkraut und Plastikmöbeln umgeben. Der Wind fuhr weiter hinauf und an den leeren Fassaden mit der abblätternden Farbe entlang. In den Sechzigern hatten hier massenhaft Kinder gelebt, jetzt waren viele der Häuser verlassen, man sah keinen Menschen mehr. Sie lauschten auf die Stille. Irgendwo war ein Ventilator an, von fern hörte man Musik.
    »Wo hast du gewohnt?«
    Annika

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