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Prime Time

Prime Time

Titel: Prime Time Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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wenig auf seinem Stuhl und konzentrierte sich auf die glänzenden Konturen der Kamera.
    Die Bilder waren einmalig, wahrscheinlich waren es die letzten Fotos von der noch lebenden Michelle Carlsson. Es war vollkommen unmöglich, sie zu veröffentlichen. Wenn man sie jedoch in der Redaktion zeigte, war das ungefähr so, als würde man den Marktplatz in Stockholm damit tapezieren. Und sie zu löschen wäre gegen jedes journalistische Gespür.
    Er lehnte sich zurück und legte die Hand vor die Augen. So saß er da, bis der Entschluss gefasst war. Dann beugte er sich schnell vor und zog die Kamera zu sich. Er öffnete die zweite Schublade von oben, warf den Apparat zwischen die Büroklammern und schloss ab.
    Da sollte das Ding liegen bleiben, er konnte jetzt einfach nicht mehr nachdenken. Er schloss für einen Moment die Augen, sah dann aber wieder hinaus und ließ den Blick auf Torstensson ruhen.
    Der Chefredakteur hatte sich auf den Platz des Auslandschefs gesetzt, wo er deplatziert und abwesend wirkte.
    Er gehört einfach nicht hierher, dachte Schyman, und wunderte sich über die Zuversicht, die der Gedanke in seinem Körper weckte.
    Annika umklammerte das Steuer, bis ihre Knöchel weiß wurden. »Soll ich fahren?«, fragte Anne Snapphane.
    Annika schüttelte den Kopf und ließ den Blick über den See gleiten, dessen Ufer in unerwarteten Wendungen und Kurven verlief wie eine Katze, die einem in einiger Entfernung durch den Wald folgt, mal hierhin, mal dahin, aber doch immer in der Nähe. Sie hatten an der Tankstelle in Flen angehalten und dort für 39 Kronen 50 einen in Plastikfolie eingeschlagenen Strauß Sommerblumen erstanden. Dann hatte sie im Gasthof auf der anderen Straßenseite ausgecheckt, und sie waren in Richtung Mellösa und Hälleforsnäs gefahren.
    Das frühsommerliche Grün der Landschaft badete im Sonnenlicht. Dieses herrliche Grün, bevor die Farben von einer Orgie in Chlorophyll, die nur noch Sättigung kennt, ausgelöscht werden. Sie schwiegen, aber dennoch herrschte eine warme und freundliche Atmosphäre im Wagen. Anne hatte aufgehört zu weinen, sie hatte müde Knochen, und ihre Nase war geschwollen. Nun starrte sie mit leerem Blick hinaus und ließ sich wiegen und leiten.
    Annika kannte die Straße und die Landschaft, als wäre ihr diese Gegend in die Seele eingeschrieben. Sie kannte jede Kurve, jeden Stein, jedes Haus. Tag um Tag hatte sich ihr das eingeprägt, Jahr um Jahr, Sonne und Regen, Hitze und Schnee, der Schulweg, der Bewegungsspielraum der Kindheit, die Wurzeln.
    »Wann bist du das letzte Mal am Grab gewesen?«, fragte Anne. Sie war jetzt gefasster, aber ihre Stimme klang immer noch schwach.
    Annika schluckte.
    »Das ist viel zu lange her. Als ich mit Ellen schwanger war.«
    Sie bog in Richtung Harpsund ab, über die Bahngleise und dann den Hügel hinauf, zwischen den Häusern des uralten Dorfes hindurch, dessen Kirche auf dem kleinen Berg stand.
    Dann am Halteverbotsschild nach links und auf den Parkplatz direkt an der Tannenhecke. Sie saß eine Weile still da, ehe sie die Blumen packte, die in der Wärme schon die Köpfe hängen ließen, und in die Sonne hinausging.
    Die Kirche stand blendend weiß etwas erhöht auf der linken Seite. Ein altes Paar, beide mit einem Krückstock, bewegte sich langsam zwischen den älteren Gräbern. Der neuere Teil des Friedhofs war von Tannenhecken und Birken umgeben und fiel zum See hin ab. Das Knirschen des Kieses hallte in der Stille. Annika ging vorsichtig, fast schleichend. Dabei ließ sie den Blick über die Grabsteine schweifen, die alten schwedischen Namen der Bauern und Landarbeiter der Gegend, die nie anders geheißen hatten als Andersson, Pettersson, Johansson und Eriksson. Vor der Treppe zögerte sie ein wenig, holte dreimal tief Luft und sah zu, wie die Sonne am Ufer des Sees spielte.
    Hier ist es schön, Großmutter, dachte sie. Du hast es gut hier.
    Dann ging sie die drei Stufen zum nächsten Absatz hinunter, bog direkt oberhalb von Gießkannen, Plastikvasen und Mülleimern nach links ab und an dem Grab des einundzwanzigjährigen Soldaten vorbei, der im Finnischen Winterkrieg an der Svirfront für die Freiheit des Nordens gefallen war. Da war der Stein aus rotgrauem Granit, glänzend poliert und mit Goldbuchstaben. Sofia Katarina und ihr Großvater gleich daneben. Sie sank auf die Knie, die Feuchtigkeit des weichen Grases wurde sofort von der Hose aufgesogen. Dann legte sie die Blumen hin, ohne sie aus dem Plastik auszuwickeln, und

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