Prime Time
sich das Bonbon in den Mund und kaute eine Weile. »Spielt das eine Rolle?«, fragte sie und pulte sich Lakritz von den Zähnen. »Sie wollte einen Film über sich selbst machen und verkaufen und Geld damit verdienen, dass sie ein Promi war. Also, du wirst mir doch zustimmen, dass das ein bisschen merkwürdig ist.«
Annika ging vom Gas, als sie am Björndammen vorbeifuhren, und sah zu der Holzhütte hinunter, die als Picknickplatz für die Leute diente, die auf der Autofahrt hier Rast machen und am See Kaffee und Kuchen genießen wollten.
»Was ist daran so merkwürdig?«, fragte sie. »Wenn sie einen unabhängigen Produzenten mit etwas journalistischer Freiheit dabeihätte, ist es doch kein Hindernis, dass sie selbst die Firma besitzt, die die Sache produziert. Wenn dasselbe auch für andere Medien gelten würde, dann würde in der Branche niemals jemand über sich selbst schreiben können.«
»Das ist ja wohl nicht dasselbe«, meinte Anne.
»Ist es doch«, erwiderte Annika. »Jetzt nimm mal die Familie, der das
Abendblatt
gehört. Die besitzen auch die größte Tageszeitung und den größten Fernsehsender, dazu noch einige Radiosender und Internetfirmen. Wenn die Zeitung jetzt eingestellt würde, dann würden das Fernsehen und die anderen Zeitungen doch darüber berichten, oder?«
»Du verstehst nicht, was ich meine«, sagte Anne Snapphane.
Sie ließen das Thema fallen und fuhren schweigend weiter.
Annika drehte am Autoradio, fand aber keinen Sender.
»Dieser Sebastian Follin«, sagte sie stattdessen, »was ist denn das für ein Typ?«
Anne Snapphane lachte nur müde und legte die Tüte Süßigkeiten vor sich auf den Boden.
»Ach du meine Güte«, sagte sie. »Einer von diesen völlig wertlosen Leuten auf Gottes Erde …«
Annika sah schnell zu Anne hinüber.
»Ich dachte, er hätte Michelles Verträge ausgehandelt.«
»Sebastian war Vollzeit als der größter Bewunderer von Michelle Carlsson beschäftigt. Seine Aufgabe war es, in jeder Lebenslage mit einer kleine Flagge dazustehen, auf der ›Michelle ist die Beste‹ stand.«
Sie fuchtelte mit einem imaginären Wimpel.
»Wieso?«
Anne Snapphane schüttelte den Kopf.
»Ich nehme an, dass Michelle das brauchte. Sie konnte nie genug Bestätigung bekommen. Sebastian Follins Job war es, ihr ständig eine Überdosis davon zu verpassen.«
Sie lachten gemeinsam kurz und wehmütig.
»Welche Künstler hat er sonst noch vertreten?«
»Keine Ahnung. Ich habe ihn nie von jemand anders reden hören.«
Hinter der Fabrik in Länna bog Annika rechts ab und nahm die Abkürzung über Åkers Styckebruk, eine schmale und kurvige Straße.
»Hast du Michelle eigentlich mal kennen gelernt?«, fragte Anne. Annika schüttelte den Kopf.
»Ich glaube nicht. Aber es kommt mir trotzdem so vor, als würde ich sie kennen. Du hast schließlich viel von ihr erzählt.
Und dann die vielen Artikel …«
»Aber Karin Bellhorn, die kennst du doch, oder? Beim Glögg-Trinken letztes Weihnachten, weiß du noch? Was hat sie denn gesagt?«
Annika dachte eine Weile nach.
»Sie schien ziemlich fertig und traurig. Hat gesagt, dass die Berühmtheit komische Sachen mit den Leuten machen würde und dass das süchtig machen würde wie eine Droge. Wenn man sich an das Scheinwerferlicht gewöhnt habe, würde man alles tun, um noch mehr davon zu bekommen.«
Anne nickte.
»Karin kennt sich da aus. Sie war in den Siebzigern schließlich selbst Moderatorin.«
»Ehrlich?«, fragte Annika. »Die Michelle Carlsson des staatlichen Fernsehens?«
Anne lächelte.
»Nicht direkt, aber sie hat schon auch ihren Teil an Kritik und Klatschpresse gehabt. Damals hieß sie Andersson, das war, bevor sie diesen englischen Rockstar, Steven Bellhorn, geheiratet hat und weggezogen ist.«
»Genau«, erinnerte sich Annika. »Aber die haben sich nach ein paar Jahren scheiden lassen, oder?«
»Er ist mit einer dreiundzwanzigjährigen Blondine abgehauen. Es gibt Leute, die behaupten, sie sei immer noch nicht drüber weg. Was hat sie denn noch gesagt?«
»Sie meinte, die Berühmtheit sei wie eine Wunde in der Seele. Sie würde heilen und verschwinden, aber Narben hinterlassen. Und jeder, der eine gehabt hätte, würde an ihr kratzen und könnte die Narben nicht in Ruhe lassen. Sie hat gesagt, Michelle sei wie eine blutende Wunde gewesen. War sie das?«
Statt zu antworten, saß Anne schweigend da, während Annika den Wagen auf die Autobahn lenkte.
»Hast du alle gesehen?«, fragte sie zurück. »Die
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