Pringle vermisst eine Leiche
Reynard’s Covert und die Dorfstraße schenken. Das Zelt wirkte im
strahlenden Morgenlicht heiter und elegant, besonders das rot-weiß gestreifte
Vordach, dachte Mr. Pringle. Er blieb einen Augenblick stehen, um es in Ruhe zu
betrachten.
Die leichte Bewegung einer
losen Plane, die vom Wind sacht hin und her bewegt wurde, erregte seine
Aufmerksamkeit. Felicity hatte ihm gesagt, daß die Wachleute erst gegen Mittag,
wenn die Stände alle bestückt waren, eintreffen würden. Mr. Pringle war in
seiner Jugend bei den Pfadfindern gewesen, deshalb kannte er sich mit Zelten
bestens aus. Vermutlich würde er irgendwo einen lockeren Knoten wieder anziehen
müssen, er würde sofort nachsehen. Auf diese Weise begann er den Tag gleich mit
einer guten Tat.
Er lugte ins Innere. Die Kuppel
erschien ihm erstaunlich hoch. Und so viele Stände! Sie waren in mehreren
ansteigenden Reihen übereinander angeordnet und überraschten Mr. Pringle durch
die Vielfalt ihrer Angebote. Miranda hatte wirklich gute Arbeit geleistet, hier
gab es für jeden etwas. Mr. Pringle las die verschiedenen Schilder:
PATCHWORK-DECKEN UND SELBSTGESTRICKTE ARAN-PULLOVER, STROHBLUMENGESTECKE,
BESTICKEN SIE IHR EIGENES TUCH, IHR TÜRSCHILD IN BRANDMALEREI, TAROT-DEUTUNG.
Du liebe Güte, welch ein reicher Schatz von Fähigkeiten schlummerte da in
Wuffinge. Zu seiner Zeit waren Wohltätigkeitsbasare immer schrecklich langweilig
gewesen, nichts als gehäkelte Topflappen, selbstgemachte Marmelade und Stände
mit Trödel.
Er trat einen Schritt nach
vorn. Vor einem der Stände, gleich links neben dem Eingang, lag eine Frau im
Gras, das Gesicht nach unten. Die absolute Ruhe, die von ihr ausging, war
befremdlich. Wieso stand sie nicht auf?
Plötzlich spürte Mr. Pringle,
wie ihm die Brust eng wurde. Ein Schauer überlief ihn, und er begann zu
zittern. Seine Brille beschlug. Voll böser Ahnungen stürzte er vorwärts und
sank neben ihr auf die Knie.
«Hallo...»
Ein Auge stand offen. Es war
trübe und mit einem Film überzogen wie das des kleinen Vogels, nachdem ihm die
Elster den Garaus gemacht hatte. Mr. Pringle streckte zaghaft eine Hand aus und
berührte sie vorsichtig — ihre Kleidung war völlig durchnäßt! «Hallo! Bitte
wachen Sie doch auf!»
Sie trug die Wollmütze mit dem
Aztekenmuster, aber nicht die Brille. Ihr Gesicht lag halb eingesunken, als ob
jemand ihren Kopf gewaltsam in den weichen Untergrund gedrückt hätte.
Vorsichtig drehte er sie auf den Rücken.
Ein dünner Klagelaut entrang
sich ihm, nun gab es keinen Zweifel mehr. Stolpernd kam er auf die Füße und
lief nach draußen, auf den Pub zu. Es war jetzt hell, doch außer ihm war noch
kein Mensch unterwegs. «Hilfe», schrie er, «Hilfe!» Hinter den zugezogenen
Vorhängen blieb alles still.
Die Eingangstür bewegte sich
nicht. Einen Moment lang glaubte er, sie sei abgeschlossen, doch dann merkte
er, daß es nur an seiner Ungeschicklichkeit lag. Im Flur entsann er sich, daß
er im Gastraum ein öffentliches Telefon gesehen hatte, doch als er in seiner
Jackettasche nach einem Zehn-Pence-Stück suchte, fiel ihm ein, daß er sein
Kleingeld oben im Zimmer gelassen hatte. Er rannte die Treppe hinauf — es war
ihm nur recht, wenn er die anderen aufweckte — doch auf halber Höhe kehrte
plötzlich sein klarer Verstand zurück: Für diese Art Anruf brauchte er keine
Münze. Er drehte um und lief die Treppe wieder hinunter. Das Herz schlug ihm
bis zum Hals, vor Aufregung glitt er aus, rutschte mehr als daß er ging und landete
recht unsanft am Fuß der Treppe. Mußte man eigentlich immer noch 999 wählen,
oder hatten sie die Nummer inzwischen geändert? Beim ersten Mal verwählte er
sich, doch dann hatte er endlich den richtigen Anschluß.
«Notrufzentrale. Wen möchten
Sie?»
«Die Polizei.»
«Was treiben Sie denn hier?!»
Sich eilig die Hosen zuknöpfend, oben noch mit der Pyjamajacke, trat Syd aus
der Tür hinter dem Tresen. «Was geht hier vor sich? Sind Sie betrunken?»
Jetzt nicht mehr, dachte Mr.
Pringle.
«Draußen im Zelt liegt eine
Frau. Sie ist tot», sagte er kurz. Er mochte nicht sagen, wer sie war. Warum,
wußte er selbst nicht. Syd kam hastig hinter seinem Tresen hervor.
«Haben Sie eins auf den Kopf
bekommen?»
«Nein — und jetzt Ruhe! Hallo,
ist dort die Polizei...?»
«Jetzt hören Sie mal...» sagte
Syd heftig. «Was fällt Ihnen ein, mir die Bullen ins Haus zu holen...»
«Halten Sie den Mund!» sagte
Mr. Pringle gebieterisch. Syd schluckte und lauschte dann mit
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