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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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scharf.
    »Komm her«, versetzte Ira.
    »Komm du lieber zu mir«, erwiderte Margot. »Ich bin nicht allein.«
    Die Villa in Dahlem strahlte in Festbeleuchtung. Es waren ein paar Zufallsgäste da, die man gerne bewirtete. Margot Lehndorff kam der Freundin entgegen. Sie trug ein raffiniert einfaches Kleid, das ihre zierliche Figur in gekonnter Schlichtheit umrahmte. Zwei, drei junge Herren folgten ihr. Sie schüttelte sie lachend ab, gab Ira die Hand, legte den Arm um die Schulter der Freundin, zog sie in ihr Zimmer.
    »Setz dich«, sagte sie, »also, wie war's?«
    »Ganz nett«, erwiderte Ira abwesend.
    »Magst du was trinken?« fragte Margot.
    »Ja, gerne.«
    »War wohl nicht sehr aufregend, der Kurzurlaub?«
    »Nein, nicht sehr …«, antwortete Ira zerstreut.
    Die Freundin stellte das Radio an. Sie hatte dunkle Haare, helle Augen und einen festen Händedruck. Sie wirkte gelassen und sachlich. Selbst wenn sie lustig war, zeigte sie sich nicht ausgelassen.
    Die Musik schwebte halblaut im Raum. Peter Kreuder bearbeitete das Klavier, rhythmisch, einschmeichelnd. Margots Fuß wippte den Takt mit. Sie war jung, hübsch, reich und sorglos. Ein Mädchen, nach dem man sich umdreht, um dann resigniert weiterzugehen, weil es mit Sicherheit für einen anderen reserviert ist.
    »Willst du nicht endlich sagen …«, drängte Margot.
    Fast gleichzeitig verstummte das Klavier im letzten Akkord. Es kamen Nachrichten. Die Freundinnen hörten nicht darauf.
    Margot stand auf und führte ihr Kleid vor. »Gefällt es dir?« fragte sie.
    »Ja«, erwiderte Ira.
    Auf einmal beugte sie sich nach vorne. Ihr Gesicht wurde gespannt, fast hart. Ihre Augen wirkten groß und starr. Sie krümmte den Rücken wie unter einer Last. Margot sah es und erschrak. Sie drehte das Radio lauter.
    »Es handelt sich hier um eine infame Hetze gegen das Reich …«, kam die Stimme aus dem Äther. »Ein Mann namens Rudolf Formis ist unbekannt. Es besteht der Verdacht, daß feindliche Agitatoren nur ein Verbrechen inszenierten, um die übliche Greuelpropaganda gegen Deutschland bis zur Siedehitze zu steigern …«
    »Mein Gott …«, sagte Ira matt.
    Um die Angst, den Druck, die Panik loszuwerden, beging sie einen tödlichen Fehler: sie redete …

23
    Die Stimme aus dem Äther schwieg. Mit dem Ende der Nachrichten kam das Grauen. Es geisterte durch das freundliche Mädchenzimmer, degradierte es zum Niemandsland der unsichtbaren Front. Ira und Margot sahen sich betroffen an. Beide waren sie jung und schön, blond die eine, dunkel die andere. Beide waren sie geschaffen, um zu leben, zu lieben, zu träumen. Und beide waren sie in Gefahr. In Lebensgefahr …
    »Mit dem Gongschlag ist es zwanzig Uhr«, fuhr der Sprecher fort.
    Ira zuckte zusammen. Margot ging auf sie zu, zog die Hand durch ihren Arm. Sie begriff nichts, aber sie sah das Entsetzen in Iras Pupillen. Sie wollte der Freundin helfen, ohne zu wissen, wie tödlich das sein konnte. Der Anschlag in dem Hotel über der Moldau war zu einem Ausrufezeichen der Weltpolitik geworden. Unten, irgendwo im Haus, knallte ein Sektpfropfen. Gläser klangen. Menschen lachten. Der Abend versprach hübsch zu werden. Eine Zufallsgesellschaft stellte sich dem Vergnügen … und fragte nicht, wo die Moldau liegt.
    »Willst du mir nicht endlich …?« begann die zierliche Margot zögernd. Die Freude an ihrem neuen Kleid war einer unheimlichen Empfindung gewichen.
    Ira schüttelte den Kopf.
    »Sie hören jetzt Marschmusik«, sagte ein Unbekannter aus dem Lautsprecher.
    Dann schlug die Zeit auf die Pauke. Viervierteltakt. Im gleichen Schritt und Tritt. Blech machte Takt, und Stiefel nahmen den Rhythmus auf …
    »Komm«, drängte Margot. »Setz dich und …«
    Links, zwo, drei, vier … ein Lied! Paukenschläge zerhämmerten Iras Bewußtsein … Geheime Reichssache … Tschingdera … Ich darf es ihr nicht sagen … Bumm, bumm, bumm … Auf jede Verletzung der Schweigepflicht steht der Tod … im gleichen Schritt und Tritt … Ein Mann namens Formis ist in Deutschland unbekannt, also wurde er nicht ermordet … Das ist die Logik des Teufels …
    »Ich«, erwiderte Ira gequält, »ich … kann nicht …«
    Und dann ließ die Angst sie doch reden. Sie durfte die Freundin nicht mit hineinziehen, aber sie brauchte Hilfe.
    Sie berichtete über den Anschlag auf Formis. Schnell, zerfahren. Ohne Anfang … unter dem Zwang des fürchterlichen Endes. Ihr schmales, knappes Gesicht mit den vollen Lippen und den hellen

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