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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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mitunter törichte Hoffnungen: Vielleicht ist dieser Kerl aus Braunau nicht so übel, wie er aussieht … Vielleicht kann man mit ihm auskommen … Hitler brauchte die Meinung, um in Ruhe aufzurüsten. Jetzt aber könnte die Klärung des Falles Formis schlagartig beweisen, was das Dritte Reich ist. Was in der Prinz-Albrecht-Straße vor sich geht. Mit welchen Mitteln Reinhard Heydrich arbeitet …
    Er tobte. Aber das änderte nichts. Seine Mitarbeiter duckten sich noch tiefer. Seine Anfragen kamen immer häufiger. Die Panne war unausbleiblich, und sie mußte für die Karriere des blonden Satans tödlich sein. Gerade als er das Sicherheitshauptamt aufbauen wollte. Alles steckte noch im Ansatz, wurde geplant, vorbereitet, entworfen, organisiert. Der lautlose Mord. Die Massenexekution. Satanische Intelligenz verband sich mit schrankenloser Macht. Über alle. Gegen jeden. Vor den Archiven in der Prinz-Albrecht-Straße hatte jeder zu zittern. Der Blockwart wie der Gauleiter. Der Funktionär wie der Mitläufer. Wissen ist Macht, rechnete Heydrich und sammelte Material. Er kannte keine Ausnahmen, denn er haßte alle. Wenn es gewünscht würde, liquidierte er am nächsten Tag den käsebleichen Spießer Himmler. Falls es die Partei verlangte, würde er die dunklen Punkte im Leben Hitlers aufdecken. Er würde die Satrapen der Bewegung stürzen und ihre Feinde jagen.
    Und jetzt?
    Soll das Verbrechen an der Moldau mit dem blutigen Finger auf die Zentrale in der Mitte Berlins tippen?
    Der Regisseur einer Angst unglaublichen Ausmaßes, die Millionen knebelte und knechtete, die ein Land beherrschte, von der keiner ausgenommen wurde, fürchtete sich auf einmal selbst.
    Heydrichs Haß hatte keinen Boden, aber seine Macht eine Grenze. So zitterte die Zentrale unter dem Zwang einer Frage: Wann, wo und wie werden Werner Stahmer und sein Komplize aus dem Dunkel wieder auftauchen?

26
    Er kam wieder zu sich. Ganz plötzlich. Benommen schüttelte Werner Stahmer die Ohnmacht ab. Er sah in das feixende Gesicht des Komplizen. Er begriff nichts. Sein Blick durchstocherte das Halbdunkel. Seine Hand tastete über den Körper.
    Die Gabel war an ihm vorbeigegangen. Die Angst vor dem Stich hatte den Agenten bewußtlos geschlagen. So blieb er unentdeckt. Die beiden Waldarbeiter hatten einen großen Schlitten mit Heu beladen und waren gegangen.
    »Alles in Ordnung«, sagte Georg. »Ich habe mit dem Finger auf die Sachen gedeutet und eingekauft. Das Kaff ist ganz in der Nähe.«
    »Ist Ihnen niemand gefolgt?« fragte Stahmer.
    »Was Sie immer denken«, maulte der Komplize. »Mensch, nun haben wir was zu rauchen, was zu fressen und was zu saufen … was wollen Sie mehr?« setzte er grinsend hinzu, »und Seife hab' ich auch noch mitgebracht.«
    Werner Stahmer wußte, daß die Flucht immer hoffnungsloser wurde, je länger sie sich hier aufhielten. Aber die Erschöpfung handelte ihm eine Nacht ab, die sie in dem Blockhaus zubrachten. Am Morgen wuschen sie sich im Schnee, rasierten sich, so gut es ging, und versuchten, ihre Kleidung durch frische Hemden aufzubessern. Sie hatten hundertachtzig Kilometer bis zur Grenze. Und auf jeden Kilometer kamen zehn Polizisten. Bei diesem Tempo brauchten sie drei Wochen, um die Grenze zu erreichen. Die Angst vor den Verfolgern jagte sie wieder querfeldein.
    Dann stießen sie auf eine Straße zweiter Ordnung.
    »Was soll schon passieren?« brummte der Komplize.
    Stahmer schüttelte den Kopf, aber er gab nach. Er wußte, daß es falsch war, doch der tobende Schmerz in seiner Hand nahm ihm die Überlegung. Auf einmal war ihm alles gleichgültig. Er passierte die ersten Menschen ohne Erregung. Er tippelte mitten durch eine Ortschaft, die er leicht umgehen konnte. Keiner achtete auf ihn. In der Wachstube der Gendarmerie waren die Vorhänge noch zugezogen.
    So schafften sie zehn Kilometer. Rechts von der Straße lag ein Schneeberg. Sie setzten sich darauf und rauchten eine Zigarette. Ein Milchauto fuhr vorbei. Der Fahrer streifte sie mit einem gleichgültigen Seitenblick. Stahmer sah dem Lastauto mit hungrigen Augen nach. Einen Wagen stehlen? Unsinn! Mit der Bahn fahren? Ausgeschlossen! Zu Fuß weitertippeln? Unmöglich! Im nächsten, spätestens im übernächsten Dorf mußte man sie fassen.
    Stahmer stand auf und trat an den Rand der Straße heran. Aus der Ortschaft schob sich laut brummend eine schwere Tatra-Limousine, fuhr im ersten Gang. Der Kerl hat Angst vor dem Glatteis, überlegte Stahmer flüchtig. Da sah er erst,

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