Prinz-Albrecht-Straße
atmete gepreßt, lauschte. Dann schob er sich geduckt vorwärts. Seine Augen suchten das Gebäude ab. Da, der Blitzableiter. Der rostige Draht schnitt in die Handflächen. Die schwindelnde Höhe verlor sich in der nebligen Nacht.
Ein Uhr. Wachablösung. Der Schatten hatte das Dach erreicht. Tauben flatterten aufgeschreckt davon. Der Mann kämpfte gegen Schwindel und Schwäche. Schwer zogen Schneidbrenner und Nachschlüssel nach unten.
Die Dachluke kreischte. Seit Jahren wurde sie nicht mehr bewegt. Der breitschultrige Mann spürte den Schmerz nicht, als er sich durch den Einstieg zwängte. Die Bohlen des Speichers stöhnten. Mäuse verließen das knirschende Holz.
Oberer Treppenabsatz.
Der Einbrecher atmete tief. Die matte, trockene Wärme des überheizten Korridors legte sich auf seinen Brustkasten. Die Lampe flammte auf. Eine Hand legte sich abschirmend auf den gelblichen Lichtkegel. Durch einen Fingerspalt pendelte das Licht, geisterte über Saaltüren, huschte weiter durch das leere Haus.
Zweiter Stock. Das Licht zitterte sekundenlang auf einer Flügeltüre. ›Heeresdokumentation O‹, las der Mann. ›Eintritt strengstens verboten‹. Das Bund mit den Nachschlüsseln klirrte. Uralte Schlösser. Schon der zweite Dietrich paßte. Die Sicherung der geheimen Dokumente war so überholt wie der Kommißzopf verstaubt. Der Lichtschein verlor sich in einer uferlosen Kolonne von Regalen, die vom Boden bis zur Decke reichten.
Der Mann kannte sein Ziel. Rechts oben, die Karteikästen. Kalte Augen folgten fliegenden Fingern. Akte A 17 bis 32 …
Das Material lag in geschlossenen Metallkästen. Der Schneidbrenner zischte, dann fielen Aktenbündel aus dem heißen Blech. Der Mann las flüchtig: ›Militärverträge zwischen Reichsregierung und Sowjetunion‹ … ›Zusatzabmachungen …‹, ›Geheimprotokolle‹. Ganze Bündel Akten wanderten in den Rucksack neben den Schneidbrenner.
Der unbekannte Besucher wollte den Raum verlassen. In diesem Augenblick kamen Schritte.
Schwer, schleppend. Die Flügeltür wurde aufgestoßen. Der Einbrecher preßte sich gegen die Wand. »Wenn man Sie faßt«, hörte er die Worte seines Auftraggebers wieder, »wissen wir von nichts … wir müssen Sie fallen lassen … denken Sie daran. Sie wissen, was auf dem Spiel steht … Keine Sentimentalität … Nehmen Sie Ihre Waffe mit.«
Ein Nachtwächter mit Blendlaterne. Der Lichtstrahl fiel von seiner Brust wie ein scharfer Spieß in die Dunkelheit. Gleich, dachte der Dieb. Seine Hand blieb ruhig, sein Kopf kühl.
Die Schirmmütze ging weiter.
Jetzt …
Ein Fluch blieb halblaut in der stickigen Luft stehen. Ein Satz. Ein Sprung. Ein Schlag. Der Körper des Nachtwächters fiel schwer auf den Boden. Der Einbrecher beugte sich über ihn. Da hörte er Pfiffe. Laut, gellend. Schritte. Mehrere Männer …
Alarm!
Unten trappelten die Nagelstiefel der Wachen. Soldaten. Der Mann hetzte los. Nach oben. Sinnlos. Wieder zurück. Zwischen den Pfiffen hallten scharfe Kommandos.
Weiter!
Sie kamen nach oben. Der Einbrecher stolperte nach unten. Blieb vor einem Lift stehen, setzte ihn in Bewegung, um die Verfolger zu täuschen. Sie stürmten in den fünften Stock. Er lauschte im dritten. Je mehr Durcheinander, desto besser. Der Unbekannte drückte auf die Feuerglocke. Eine Sirene heulte auf. Weiter.
Die Ausgänge waren besetzt. Einer schrie: »Er muß aus dem Fenster gesprungen sein!«
Das Getrappel teilte sich. Jetzt gingen die Verfolger mit System vor. Der Unbekannte erreichte den Keller. Eine Tür, die nächste. Die Klinke gab nach. Der Heizungsraum. Der Mann suchte Deckung hinter der Kokshalde. Da griff er in Stoff. Der blaue Arbeitskittel des Heizers. Er handelte sofort. Jacke aus, Hose 'runter, hinein in die Klamotten, Licht machen! Eine Schaufel, Heizungstür auf. Blutrote Glut flackerte über ein gehetztes Gesicht …
Der Einbrecher machte Radau. Schaufelte wie ein Besessener Kohlen über den Anzug, auf seinen Rucksack.
Sie kamen, drei, vier Männer. Der Mann am Ofen schmierte sich Ruß ins Gesicht und schaufelte, schaufelte. Sie traten ein. Soldaten. Ein Zivilist unter ihnen.
»Das ist der Heizer«, sagte der Feldwebel.
Der Unbekannte stützte sich mit abgewandtem Gesicht auf die Schaufel.
»Ist hier jemand vorbeigekommen?« fragte einer der Soldaten.
»Kein Mensch«, brummte der Mann mit der Schaufel.
»Wissen Sie das bestimmt?«
»Aber ja!«
»Dann machen Sie mal weiter«, bemerkte der Feldwebel abschließend. Ein
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